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Herzliche Gratulation zum 80. Geburtstag, Ingrid Noll!

Als »erfolgreichste« (Der Spiegel) und »ungewöhnlichste« (Focus) Krimiautorin Deutschlands wurde Ingrid Noll bereits gefeiert. Heute nun wird die »Grande Dame des deutschen Krimis« achtzig Jahre alt. Insgesamt dreizehn Romane und zahlreiche Geschichten hat sie bisher geschrieben. Alle siedeln sie »in einem trügerischen Niemandsland zwischen Krimi und Familiendrama, zwischen Frauenbuch und heimeligem Horror.« (Der Spiegel). Aber wie fing alles an, wie kam Ingrid Noll zum Diogenes Verlag? Ein kurzer Rückblick.

Foto: Renate Barth / © Diogenes Verlag

Die Lust auf »hundsgemeine Geschichten«

Ingrid Noll war Mitte Fünfzig, als sie ihren ersten Mord beging. Nachdem nämlich ihre Kinder aus dem Haus waren und sie zum ersten Mal seit Langem wieder ein Zimmer für sich allein hatte, packte sie die Lust, »hundsgemeine Geschichten« zu schreiben. Warum, das weiß sie bis heute nicht. Jahrelang hatte sie in der Arztpraxis ihres Mannes ausgeholfen, Gutachten, Rechnungen, Briefe getippt, gekocht, eingekauft, gewaschen und gebügelt. Nun begann sie sich zwischen Bügelbrett und Bratpfanne Mordgeschichten auszudenken.

Unter dem Titel Rosis Wandertage schickt sie Diogenes im Juni 1990 das Manuskript ihres ersten Romans. Die zuständige Lektorin für unverlangt eingesandte Manuskripte, Barbara Birrer, eine Malerin und ehemalige Nacht-Taxifahrerin, entdeckt dieses schwarze Juwel in der Masse der Einsendungen. Sie legt es auf den kleinen Stapel von Manuskripten, die sie »mit dk besprechen» möchte, das heißt mit Daniel Keel. Verwundert schreibt sie dazu: »Hat noch nichts publiziert, ist aber zu gekonnt, um ein Erstling zu sein.« Dieser Meinung ist auch Keel. Aber als er die angegebene Telefonnummer wählt, meldet sich statt der Autorin ihr Mann: »Meine Frau ist schon nach Hause gegangen und kocht.» Der ungewöhnlichen Autorin macht Keel, als er sie daraufhin zu Hause erreicht, ein ebenso ungewöhnliches Kompliment: »Sie schreiben so schön undeutsch.«

Der Begleitbrief zum Manuskript von ›Der Hahn ist tot‹ von Ingrid Noll.

Aus Rosis Wandertage wird schließlich Der Hahn ist tot, aus Charlotte Katzenmaier (wie sie es sich zunächst als Pseudonym gewünscht hatte) Ingrid Noll. »Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt«, erinnert sie sich, »war das wie Weihnachten, Geburtstag, alles auf einmal, wie ein frischgeborenes Kind. Ich habe das Buch nicht mehr aus der Hand gegeben. Ich habe es nachts auf meinen Nachttisch gelegt und am nächsten Morgen gleich wieder angeguckt. Das fand ich das Schönste: Mein erstes Buch in den Händen zu halten.«

Vom heimischen Herd auf die großen Bühnen

Aus der Arztgattin und Hausfrau wird bald eine Bestsellerautorin. Und das ohne große Werbekampagne. Ingrid Noll erobert sich ihr Publikum durch zahllose Lesungen in kleinen und mittleren Buchhandlungen oder Stadtbibliotheken.

Widmungen von Ingrid Noll, die sie während ihrer Lesereisen für Leser anfertigte.

An eine Lesung in Helsinki zusammen mit finnischen und deutschsprachigen Kollegen im Jahr 1997 wird sie sich wohl noch lange erinnern: »Plötzlich stürmten Polizisten auf die Bühne. Die kannten auch ein Wort auf Deutsch: ›Abführen! Abführen!!‹ Sie legten uns Handschellen an und haben uns mit Knüppeln von der Bühne getrieben. Rein ins Polizeiauto. Mit Sirene. Über alle roten Ampeln hinweg, was ich mir schon immer mal gewünscht habe.« Ingrid Noll wurde also festgenommen, doch der schwerwiegende Verdacht, dass sie das Publikum zu kriminellen Handlungen animiert habe, konnte nicht erhärtet werden, wie der Kommissar Terho Mäki der Autorin in einer Urkunde bestätigte. Sie wurde wieder auf freien Fuß gesetzt und feierte die wiedererlangte Freiheit in einem nahegelegenen Restaurant – mit den Organisatoren und der finnischen Polizei, die sich diesen Scherz erlaubt hatte.

Mit ihrem zweiten Roman, Die Häupter meiner Lieben, gewann Ingrid Noll den ›Glauser‹ für den besten Kriminalroman 1993. Ihr dritter Streich, Die Apothekerin, bleibt über ein Jahr auf der Spiegel-Bestsellerliste. Drei Bücher von Deutschlands »ungewöhnlichster« (Focus) Kriminalautorin werden innert kürzester Frist verfilmt – eineechte Noll-Welle im Kino, in den Hauptrollen Katja Riemann und Heike Makatsch.

Die Autorin und der Regisseur Rainer Kaufmann während der Dreharbeiten zu ›Kalt ist der Abendhauch‹, 2000.

Zum Erfolg beigetragen hat auch die Covergestaltung: Daniel Keel schlug für Der Hahn ist tot einen Ausschnitt aus dem Gemälde Eva, die Schlange und der Tod des Renaissance-Malers Hans Baldung Grien vor. Ingrid Noll, die ehemalige Kunstgeschichtsstudentin, war begeistert: »Seit meiner Jugend liebe ich Hans Baldung.«

Originalausgaben von 1994 und 1993

Alle ihre nachfolgenden Romane sind mit Bildern aus der Renaissance versehen, die sie inzwischen selbst aussucht – in ihrem Roman Röslein rot spielen die alten Meister sogar eine wichtige Rolle. 

Auch nach dreizehn Romanen und vielen Erzählungen hat Ingrid Noll von Mordgeschichten noch nicht genug. Und das, obwohl sie, wie sie behauptet, »noch nicht mal eine Mausefalle« aufstellen kann.

»Ich wurde am 29. September 1935 in Shanghai geboren, das ist aber auch das einzig Exotische an mir.« Ihre Geburtsanzeige in einer internationalen Zeitung in Shanghai lautete:

BIRTHS
NOLL.– On Sunday, September 29, 1935,
at Dr. Noll’s Private Hospital, 1729 Avenue Joffre, 
Shanghai, to Dr. an Mrs. K. Noll, a daughter.

»In meiner Kinderzeit in Nanking, in einem Haus mit altmodischen Büchern, großem Garten und vielen Tieren, begann ich mir versponnene Spiele und kleine Geschichten auszudenken, die ich aus Angst vor Enttarnung bei einem Umzug im Garten vergrub. 1949 musste meine Familie Shanghai verlassen; in Bad Godesberg kam ich in ein Mädchengymnasium. Ich hasste die Schule. Die gute Note in Deutsch konnte das regelmäßige Versagen in Mathematik notdürftig ausgleichen. Halbherzig begann ich nach dem Abitur ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Bonn. Die Heirat rettete mich vor dem Examen und dem Lehrerinnenberuf, drei Kinder in dreieinhalb Jahren dienten fortan als Ausrede für ein Leben hinter dem Kochtopf. Als der Nachwuchs flügge war, konnte ich mich nicht mehr verstecken.«

Ingrid Noll bei sich zu Hause, 1998.

Und dafür sind nicht nur wir, sondern auch unzählige Leser dankbar. Nie wären wir sonst in den Genuss dieser herrlich abgründigen Geschichten gekommen. Auch ihr neuster Roman Der Mittagstisch erfüllt die Erwartungen: Wie schon andere Protagonistinen vor ihr, fühlt sich Nelly, Mitte dreißig und alleinerziehend, ungerecht behandelt und vom Leben benachteiligt. Um doch noch zu ihrem (Liebes-)Glück zu kommen, geht sie buchstäblich über Leichen – mit dem Kochlöffel in der Hand und ganz ohne Skrupel.

Herzlichen Glückwunsch, Ingrid Noll! Und vielen Dank für wunderbare, komische und manchmal hinterhältige Romane und Geschichten, die wir alle nicht missen und noch viele davon lesen möchten.

 

Der Mittagstisch von Ingrid Noll ist am 26.8.2015 erschienen. Auch als E-Book und als Hörbuch, eingelesen von Anna Schudt.

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