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»Wenn jemand nicht mehr zwischen Phantasie und Realität unterscheiden kann, das geht dann so richtig schief.«

Der New Yorker Autor Jason Starr hat einen packenden neuen Thriller geschrieben: Phantasien ist eine bitterböse Komödie der erotischen Verwirrung und Verblendung – mit tödlichem Ausgang. Angesiedelt ist diese in einem wohlhabenden Vorort von New York. Aber Vorsicht: Hinter den gepflegten Fassaden gärt und kocht es. Wir traffen den sympathischen Autor zum Gespräch.

Foto: Regine Mosimann / © Diogenes Verlag

Diogenes: Ihr neuer Roman Phantasien ist ein Thriller um Begehren, Betrug und Selbstbetrug. Was war der Keim zu dieser Geschichte?

Jason Starr: Andere Autoren fangen immer mit den Figuren an, bei mir aber steht am Anfang meist eine Grundkonstellation, und dazu eine Frage. Bei Phantasien war das: Eine geschiedene Frau meint, sie hätte eine ganz tolle Freundschaft mit einem verheirateten Mann, aber er denkt, sie wären ineinander verliebt. Wie könnte das enden? Dann habe ich eine erste Szene, eine Art Eröffnung, geschrieben, habe überlegt, was das für ein Mann ist, wie seine Beziehung zu seiner Frau ist, und daraus ist nach und nach der Plot entstanden. 

Ich wusste auch schon, dass Phantasien nicht in der Großstadt spielen soll, wo ja viele meiner Romane spielen, sondern in einem Vorort. In den Vororten gibt es viel mehr Platz und Weite als in der Stadt, aber paradoxerweise auch mehr Klaustrophobie. Jeder schnüffelt im Leben des anderen herum, stellt Mutmaßungen über Bekannte und Nachbarn an. Ich kenne das nördliche Westchester County ganz gut, das ist etwa eine Stunde von New York entfernt, habe dort öfter Freunde und Familie besucht, und das schien mir der ideale Schauplatz für meinen neuen Roman.

Was ist gefährlicher: seine Phantasien auszuleben, oder sie bloß im Kopf zu behalten?

Ich glaube, beides kann sehr gefährlich sein. Wenn man alle seine Phantasie ausleben würde, selbst die krassesten, würde man zu weit gehen und unter Umständen sein Leben zerstören. Wenn man seinen Phantasien andererseits überhaupt kein Ventil gibt, wird man 1.) sehr unglücklich und 2.) irgendwann wahrscheinlich verrückt. Das Beste wäre wohl, da ein gewisses Gleichgewicht zu finden, und einige Phantasien auf positive Art in die Tat umzusetzen. Am gefährlichsten wird es aber, wenn jemand nicht mehr zwischen Phantasie und Realität unterscheiden kann, wenn da die Grenzen verschwimmen. Das geht dann so richtig schief.

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Wer ist ihre Lieblingsfigur in Phantasien?

Mark, der verheiratete Mann, der mit der geschiedenen Frau befreundet ist. Das ist beispielsweise so jemand, der nicht zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden kann. Der ist dermaßen verblendet, liegt mit seinen Einschätzungen so daneben, dass ich beim Schreiben der Kapitel aus seiner Perspektive oft lachen musste. Wenn ich beim Schreiben lachen muss, oder wenigstens lächeln, dann weiß ich, dass ich auf der richtigen Spur bin.

So richtig sympathisch ist Mark allerdings nicht.

Das ist mir klar, aber wenn ich einen Roman schreibe, geht es mir ja auch nicht um Sympathien. Wenn ich zufällig jemanden erfinde, den alle mögen, schön. Aber wenn ich das absichtlich versuchen würde, würde ich mich dabei total langweilen. Und meine Leser sich wahrscheinlich auch. Ich will Figuren erschaffen, die real wirken, deren Haltungen zu Beruf, Familie, Freunden und so weiter man als Leser nachvollziehen kann. 

Hoffentlich lachen die Leser ein bisschen über Mark, vielleicht verurteilen sie sein Verhalten auch, so wie er und die anderen Figuren im Roman es ja auch gegenseitig tun. Vielleicht sehen wir auf Mark herab. Er hat sich nun einmal hoffnungslos in etwas verrannt. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass wir uns alle ein Stück weit in ihm wiederfinden.  

Machen wir uns im Alltag alle etwas vor?

Ich glaube, jeder Mensch hat gewisse Vorstellungen von sich, die von der Realität weit entfernt sind. In diesem Sinn also ja. So verblendet wie die Figuren in Phantasien sind die meisten von uns nicht, aber die eine oder andere Verhaltensweise wird uns bestimmt bekannt vorkommen, sei es von uns selbst oder von Leuten, die wir kennen. Wir waren doch alle schon einmal in jemanden verliebt, der nicht dasselbe für uns empfunden hat, wir haben alle schon einmal über jemanden getratscht und Spekulationen über das Leben anderer angestellt, wir haben sicher alle schon einmal etwas getan, was wir später bereut, wofür wir uns geschämt haben. Ich glaube, Phantasien ist der realistischste Roman, den ich bis jetzt geschrieben habe.

Die Straße, in der die beiden Familien in Phantasien wohnen, heißt »Savage Lane«. Gibt es wirklich eine Straße mit diesem Namen?

In Brooklyn, wo ich aufgewachsen bin, gibt es eine Gasse, die tatsächlich so heißt, und der Name schwirrte mir schon seit Jahren im Kopf herum. Bei der Arbeit an diesem Buch ging mir dann auf, dass er für diese Geschichte einfach perfekt passt. In Westchester County allerdings gibt es keine Straße, die so heißt. 

Schreiben Sie immer noch in Cafés?

Ja, jeden Tag! Mittlerweile brauche ich den Lärm und den Trubel um mich herum sogar. Ich glaube, inmitten von Chaos zu schreiben verbessert meine Konzentration, weil ich mich dadurch ganz stark auf die Arbeit vor mir fokussiere und alles andere ausblende. In einer stillen Bibliothek oder auf dem Land könnte ich gar nicht schreiben. Die Stille würde mich viel zu sehr ablenken.

Was lesen Sie im Moment?

Green Hell von Ken Bruen. Meiner Meinung nach sein bester Jack-Taylor-Roman bis jetzt. Und Das Kartell von Don Winslow hat mich auch umgehauen, was für ein Meisterwerk!

 

Aus dem Amerikanischen von Jenny Merling.

Phantasien von Jason Starr ist am 23.9.2015 erschienen, aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans M. Herzog. Eine Leseprobe gibt es hier

Ende Oktober ist Jason Starr auf Lesereise in Deutschland und Österreich (weitere Termine folgen).