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Doris Dörrie über ihren neuen Roman »Diebe und Vampire«

Sie lernen sich in Mexiko am Strand kennen und treffen sich in San Francisco wieder: Alice, eine junge deutsche Studentin, und die dreißig Jahre ältere Amerikanerin, die Alice insgeheim »die Meisterin« nennt. Denn sie ist alles, was Alice gerne wäre. Elegant. Selbstbewusst. Souverän mit Männern. Und vor allem: eine Schriftstellerin.

Fotos: 2012 Constantin Film Verleih GmbH/Dieter Mayr

Doris Dörrie spricht im Interivew über die Hauptfigur ihres neuen Romans Diebe und Vampire, der heute erscheint, über ihre Liebe zu Mexiko und darüber, dass wir alle Vorbilder im Leben brauchen.

Frau Dörrie, Ihr neuer Roman Diebe und Vampire hat einen geheimnisvollen Titel. Was hat es mit den Dieben und Vampiren auf sich?

Doris Dörrie: Wir sind alle »Diebe und Vampire«, weil wir unsere Gehirne füllen mit Aufgeschnapptem, verfälschten Erinnerungen, Zitaten, Fetzen aus Filmen, Fotos, Büchern, Musikstücken. Wenn man das bewusst betreibt, ist man Künstler – oder eben Schriftsteller. Ein komplett autonomes Denken gibt es nicht. Ich finde es wichtig, sich das immer wieder im Schreibprozess klarzumachen, wie sehr man in seinem Denken mit der eigenen Kulturgeschichte verbunden ist, aber auch mit den Erzählungen, Biographien, Sätzen, Wörtern, Ausdrücken der Mitmenschen, ihren Gehirnen. Natürlich neigt man als Schriftsteller dazu, alles auch auf seine literarische Verwertbarkeit zu erleben – und da nicht zu einem durch und durch unmoralischen Dieb und Vampir zu werden, der anderen Schaden zufügt, ist immer wieder eine Aufgabe.

Sie würden sich also auch als Diebin und Vampirin bezeichnen?

Natürlich, siehe oben. Vielleicht habe ich aber auch ein besonderes Geschichtenerzähler-Gen oder eine diebische Natur und vampireske Grundausstattung: Mein Großvater kannte nach einem Tag am Strand in den Ferien bereits die gesamten Lebensgeschichten aller Urlauber um uns herum, meine Mutter kann Gespräche aus geschätzten zehn Kilometern Entfernung belauschen, mein Vater hatte als Kind eine fast bedrohlich überschäumende Phantasie, er träumt bis heute komplett abgeschlossene Geschichten und kann sich mit 95 Jahren noch an jedes Buch erinnern, das er jemals gelesen hat – und er liest circa zwei in der Woche. So ein kleines bisschen habe ich hoffentlich davon geerbt.

Die Hauptfigur in Diebe und Vampire, Alice, ist eine junge Frau, die etwas verloren im Leben steht. Nur eines weiß sie: Sie will schreiben, Schriftstellerin werden.

Alice lernt in Mexiko, am Strand, eine ältere Frau kennen, die tatsächlich Schriftstellerin ist und all das verkörpert, wovon sie träumt. Alice bewundert sie ungemein, nennt sie insgeheim: die Meisterin. Was für eine Beziehung entwickelt sich zwischen den beiden Frauen?

Eine echte Beziehung entsteht nicht zwischen den beiden, was bei einem Vorbild oft so ist. Die Meisterin ermuntert Alice zwar, aber sie lernt sie nicht wirklich kennen. Und Alice muss irgendwann einsehen, dass sie sich von ihrer eigenen Bewunderung emanzipieren und ihren eigenen Weg finden muss. Als sie dann, viel später, selbst zum Vorbild für eine junge Frau wird, fragt sie sich, wie sehr sie das überhaupt sein möchte und ob das einer wirklichen Beziehung nicht eher im Weg steht.

Brauchen wir alle Vorbilder?

Ja, ich glaube schon. Es schafft eine Verbindung zwischen den Generationen, zwischen den Künsten, zwischen Ideen, moralischen Verpflichtungen. Keine Vorbilder zu haben ist fast ein bisschen traurig, weil es einen unbehaust sein lässt.

Fotos: 2012 Constantin Film Verleih GmbH/Dieter Mayr

Muss man sie auch irgendwann hinter sich lassen?

Nicht unbedingt. Manchmal überholt man seine eigenen Vorbilder, manchmal muss man einsehen, dass sie unerreicht bleiben, manchmal beschützen sie einen auch dann weiter, wenn sie nicht mehr unbedingte Vorbilder sind.

Der große Traum von Alice ist zu schreiben. Doch kaum sitzt sie alleine vor einem weißen Blatt, erfasst sie Panik, und sie tut alles, um sich abzulenken. Kennen Sie solche Zustände auch? Bei Ihrer enormen Produktivität kann man sich das eigentlich kaum vorstellen.

Ja, das kenne ich auch. Ich habe oft Mühe, mich zum Schreiben wirklich aufzuraffen, weil es so viele andere, schönere Dinge zu tun gäbe. Und natürlich ist das ungeschriebene Buch auch immer das bessere Buch – denn mit jedem Satz, den man tatsächlich hinschreibt, muss man auch seiner eigenen Unzulänglichkeit ins Auge sehen, der Enttäuschung. Das ist hart und nicht unbedingt etwas, was man sich jeden Tag wieder gern zumutet. Aber so ist nun mal das Schreiben. Dafür gibt es, wenn man Glück hat, die Belohnung, dass plötzlich die erfundenen Figuren anfangen, von selbst zu agieren und zu sprechen und man ihnen nur noch folgen, nur noch zu notieren braucht. Das ist wie eine Droge – auch die tägliche Hoffnung darauf, dass man es hinkriegt.  

Der Roman hat drei Teile, von denen zwei in Mexiko spielen. Ein Land, in das Sie in Ihren Büchern und Filmen immer wieder zurückkehren. Was fasziniert Sie an Mexiko?

Mexiko ist ein sehr hartes Land, besonders jetzt in den Zeiten des brutalen Drogenkriegs. Aber es ist auch ein Land mit einer ganz besonderen Kraft, einer großen Offenheit und Zutraulichkeit der Menschen. Ich habe vor zwei Jahren einen Dokumentarfilm in Mexico City gedreht, über eine weibliche Mariachi-Band, der Titel lautet: Dieses schöne Scheißleben. Das ist der Originaltext eines Lieds, und das beschreibt sehr gut die besondere mexikanische Begabung, das Schöne und das Schreckliche am Leben klar zu sehen und zu benennen. Und dann natürlich immer wieder die Farben. Kein anderes Land hat diese Farben: Opalgrün. Schneeweiß. Blutrot.

 

Diebe und Vampire von Doris Dörrie ist am 20.5.2015 erschienen. Auch als E-Book und als Hörbuch, von der Autorin selbst eingelesen.

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