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Grammofon und der erste Fön

Von Hansjörg Schneider

Ich zähle hier kurz auf, was sich in den letzten 77 Jahren im normalen Alltag so alles verändert hat.

Foto: © Lucian Hunziker

Heizung. Wir wohnten in einem Einfamilienhaus mit Zentralheizung. Im Keller stand ein riesiger Ofen, in dem wir Koks verfeuerten und während des Krieges Torf aus dem Wauwiler Moos. Den Torf haben wir erst auf den Estrich getragen, um ihn zu dörren. Ölheizungen gab es keine. Eine Wohnung ohne Kamin war unvorstellbar.

Medien. Wir hatten das Zofinger Tagblatt und ein Radio. Über das Radio gebot der Vater. Nachrichten, »Echo der Zeit«. Dann galt Redeverbot. Wir hörten alle zu, was Heiner Gautschy aus New York berichtete.

Schuhe. Sie waren aus Leder. Die Sohlen wurden genagelt, damit sie länger hielten. Die ersten Gummisohlen habe ich in der ersten Primarschulklasse gesehen, bei Dorli. Sie hatte knallgelbe Speckgummisohlen. Wir machten Wettrennen. Sie gewann immer, weil sie wegen des Gummis besseren Halt hatte.

Waschtag. Alle zwei, drei Wochen kam eine Waschfrau und half der Mutter beim Waschen. Das begann am frühen Morgen mit dem Einfeuern des Waschofens. Kernseife, die langen Holzkellen, mit denen die siedende Brühe umgerührt wurde.

Regenschutz. Ich habe früh angefangen, in den Ferien im Wald zu arbeiten. Um sieben Uhr morgens musste man am Arbeitsplatz sein. Über Mittag eine Stunde Pause. Verpflegung aus dem Rucksack. Um halb sechs war Feierabend. Wenn es geregnet hat, war man nass bis auf die Haut. Es gab keinen wirksamen Regenschutz, Plastik war unbekannt.

Grippe. Wenn man krank war, wurde man über der Brust mit heißem Antiflogistin zugepflastert. Das war zum Kotzen. Genützt hat es nichts.

Schläge. In der dritten Primarschulklasse gab es einen Tarif, wie viele Tatzen man für welches Vergehen erhielt. Tatzen waren Schläge mit einem Haselstock auf die Innenseite der ausgestreckten Hand. Das Zurückziehen der Hand war verboten.

Tolggen. Wir lernten das Schreiben mit der Tintenfeder. Die Tintenfässchen waren rechts in der Schulbank eingelassen. Nur rechtshändiges Schreiben war erlaubt. Tolggen waren Tintenkleckse, die ins Heft tropften. Sehr schlimm.

Bananen. Sie waren zu teuer. Wir hatten Äpfel aus eigenem Garten. Im Obstkeller standen die Hurden, darauf lagen die verschiedenen Sorten, ein herrlicher Duft. Einige hielten bis in den Frühling.

Fleisch. Fleisch kam praktisch nie auf den Tisch, auch Eier nicht. Das war alles rationiert. Das erste Hühnerbein bekam ich erst zwischen die Zähne, als ich die Kantonsschule ging.

Eiskasten. Niemand hatte einen. Man hat den Fisch am Freitagmorgen bei Hürzeler in der Oberstadt gekauft. Dorschfilets aus der Nordsee, in Paniermehl gebraten, wunderbar.

Schwarzafrikaner. Dieses Wort gab es nicht, so wenig wie die dazugehörigen Menschen. Hingegen stand vor der Eisenwarenhandlung in der Unterstadt ein Blech-Neger, der die Augen rollte und mit den Lippen klapperte, wenn man einen Batzen in den Schlitz warf.

Autos. Der Vater von Bruno besaß einen Pontiac. Viel Chromstahl, helle Ledersitze, eine Schönheit des technischen Fortschritts. Ich durfte ein paarmal mitfahren.

Fön. Eines Tages sah ich bei einem Kollegen den ersten Fön. Ein pistolenartiges Gebilde, aus dem heiße Luft blies. Unglaublich. Ich benütze noch heute keinen Fön.

Grammofon. Bruno hatte einen. Er besaß auch eine Schallplatte mit einem Schlager. Den Text weiß ich noch genau: »Mit dem Kuss vor der Haustür fings an, draus ein Märchen der Liebe begann.«

Ich könnte diese Aufzählung endlos weiterführen. Es ist unglaublich, was sich innerhalb eines Menschenlebens alles verändert hat. Wobei sich die Welt schneller verändert hat als die Leute.

 

Erstmals erschienen in der Basler Zeitung am 16.10.2015.

Hansjörg Schneider, geboren 1938, lebt in Basel und im Schwarzwald. Seine ›Hunkeler‹-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an und sind mit Mathias Gnädinger in der Hauptrolle verfilmt worden. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet.

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