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»Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, hatte aber erst als Rentner genug Ideen und die Zeit dazu.«

J. Paul Henderson schrieb seinen ersten Roman, Letzter Bus nach Coffeeville, mit 67 Jahren. Auslöser war der Tod seiner an Alzheimer erkrankten Mutter. Warum sein Debüt dennoch ein heiteres Buch geworden ist, erzählt er hier Im Interview.

Foto: Daniel Jaems

Sie haben Ihr Debüt in einem Alter geschrieben, in dem viele Menschen anfangen kürzerzutreten …

Ich habe bis Mitte dreißig viele Liedtexte geschrieben, und während meiner Zeit in Mississippi ein kurzes Theaterstück und ein paar Texte, die in der Uni-Zeitung veröffentlicht wurden; ich hatte da eine wöchentliche Kolumne. Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, hatte aber erst als Rentner genug Ideen und die Zeit dazu. Dem Verfall meiner Mutter zusehen zu müssen hat mich überlegen lassen, ob jemand anderes in ihrer Situation, jemand, der weiß, welches Schicksal ihn erwartet, wohl versuchen würde, dieses Elend zu umgehen. Damit war die Figur Nancy geboren.

Was hat Sie dazu bewogen, Hershey als Ausgangspunkt zu wählen, die amerikanische Entsprechung von Lindt & Sprüngli (Zürich), und Coffeeville als Endpunkt?

Ich wollte einen Roman über einen Roadtrip schreiben, der zwei weit voneinander entfernte und völlig ungleiche Städte miteinander verbindet. Eine Freundin von mir ist in Hershey geboren und aufgewachsen, und ihre Geschichten über die Stadt haben in mir den Wunsch geweckt, Hershey selbst einmal zu besuchen. Die Stadt hat meine Erwartungen nicht enttäuscht und mir einen Grund geliefert, Schokolade im Buch unterzubringen. 

Coffeeville ist eine kleine Stadt, die ich 1975 einmal besucht habe. Der Vater eines Freundes, ein Neurochirurg aus Memphis, hatte dort eine Ferienhütte, wo ich mit ein paar anderen ein Wochenende verbringen durfte. Obwohl die Rassentrennung damals schon offiziell aufgehoben war, hatte sich in Coffeeville noch niemand die Mühe gemacht, die vielen entsprechenden Schilder zu entfernen. Das hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Außerdem hat der Name einfach was. Ich habe erst von General Coffee erfahren, als ich zur Vorbereitung eines zweiten Besuchs dort 2009 ein bisschen über die Stadt recherchiert habe.

Sie führen uns in diesem Roman nicht nur durch die halbe USA, sondern auch durch sechzig Jahre US-Geschichte.

Ich brauchte ein Ereignis, bei dem sich Gene und Bob über den Weg laufen konnten, und es sollte etwas sein, das sie zu Freunden machen und für immer miteinander verbinden würde (Bürgerrechte). Während ich in den USA gelebt habe, war Vietnam stets Thema, also konnte ich das schlecht in meinem Buch außen vorlassen. Kuba kam dann dazu, weil mich die Beziehung zwischen Che und Fidel schon immer fasziniert hat, und ihre »Freundschaft« passte einfach gut zum generellen Thema des Buchs. 

Vom Centralia Massacre und dem Aufstand der Bergarbeiter in West Virginia habe ich während meines Studiums der US-amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts erfahren, und fand beide Ereignisse wert, dass über sie geschrieben wird. Die meisten US-Amerikaner haben bestimmt noch nicht einmal davon gehört. So hat mein Geschichtsstudium doch noch einen Sinn gehabt.

Gab es irgendwelche Vorbilder für die Hauptfiguren?

Es gibt gewisse Züge von mir in Gene, Jack und Eric, aber nur ganz wenige. Hauptsächlich habe ich sie mir ausgedacht. In Nancy steckt hingegen schon ein ganzes Stück von jemandem, den ich mal kannte. Bob hat wiederum kein Vorbild aus dem echten Leben, der ist eher die Art Mensch, die ich gern gewesen wäre.

Wer sind Ihre literarischen Vorbilder?

Ich bin Richard Brautigan unendlich dankbar dafür, dass er mir das Lesen wieder nähergebracht und den Gedanken in mir hat reifen lassen, dass ich eines Tages vielleicht selbst ein Buch schreiben könnte. Wann immer ich seine Romane aber einmal gelesen habe, beziehungsweise versucht habe, sie noch einmal zu lesen, war ich enttäuscht. Eine Weile habe ich auch Kurt Vonnegut sehr bewundert, aber die bedeutenderen Schriftsteller waren Richard Russo, Michael Malone, Tom Robbins, John Irving, Jonathan Franzen, Garrison Keillor, Anne Tyler, Haruki Murakami, Mario Vargas Llosa, Jonathan Coe, David Lodge und der frühe Günter Grass.

Woher hatten Sie die Idee mit dem Tourbus von Paul McCartney?

Die Idee kam mir eines Tages einfach so … und sie war zu verrückt, um sie nicht zu verwenden. Außerdem bekam ich dadurch die Gelegenheit, mich über Paul McCartney aufzuregen.

Musik in Ihrem Leben und als »Begleitmusik« für Ihre Figuren?

Musik spielt eine wichtige Rolle für mich, aber das Buch hat meiner Meinung nach keinen speziellen eigenen Soundtrack. Und ob die Figuren ihre eigene Musik haben, weiß ich auch nicht. Nancys Mann mochte Captain Beefheart und Warren Zevon (so wie ich), aber davon abgesehen haben eher die Orte, die die Gruppe besucht, eine musikalische Bedeutung (Nashville – Country und Western; Memphis – Rhythm’n’Blues und Elvis). Während ich die eigentliche Fahrt beschrieben habe, hatte ich eine Weile einen Ohrwurm von Atom Heart Mother (Pink Floyd), und während ich an den letzten Seiten gearbeitet habe, hatte ich ein Lied von den Eels im Kopf. 

Ihr Roman ist nicht nur ein Road novel, sondern auch ein »Soundtrack« …

Früher habe ich Gitarre gespielt und gesungen, aber fast nie vor Publikum, und auch nur Lieder, die ich selbst geschrieben hatte. Ich würde gern tanzen können, aber ich traue mich nicht und habe auch absolut kein Rhythmusgefühl.

Sie haben anderswo den Krankheitsverlauf Ihrer Mutter als eine ziemlich schlimme Erfahrung für alle Beteiligten beschrieben. Dennoch haben Sie ein über große Strecken ausgesprochen vergnüglich zu lesendes Buch geschrieben.

Mir war natürlich schon während des Schreibens klar, dass Demenz und aktive Sterbehilfe keine fröhlichen Themen sind. Deshalb habe ich versucht, diese dem Leser nahezubringen, ohne zu trivialisieren, indem ich sie in eine humorvolle Geschichte einbettete. Eine Geschichte, die sowohl traurig als auch lustig ist. Ohne ein bisschen Humor wäre die Story viel zu düster geworden. Das Buch zu schreiben war tatsächlich eine Art Selbstheilungsprozess. Ich hatte dadurch die Möglichkeit, ein »schöneres« Ende für das Leben meiner Mutter zu schreiben. 

Ich hatte davor auch schon hier und da mal etwas geschrieben, aber ihr Tod war wohl der Auslöser, das Ganze ernsthafter zu betreiben. Humor ist alles, was Menschen zum Lachen bringt, aber wie banal die Sachen manchmal sind, die andere zum Lachen bringen, finde ich schon amüsant. Ich mag Humor, den man am wenigsten erwartet – wenn man weiß, man sollte jetzt wirklich nicht lachen, aber man kann einfach nicht anders. 

Anderswo haben Sie die Vermutung geäußert, hätte Ihre Mutter wirklich ermessen können, was ihr bevorstand, sie nach der Diagnose mehr als nur einfach einige Töpfe und Pfannen weggeschmissen hätte.

Ich glaube, meine Mutter hätte ihr Leben trotzdem einfach so weitergelebt. Ich finde aber, wenn ein Mensch sozusagen eine Zeitbombe in sich trägt, sollte er das Recht haben, das Beste aus der verbliebenen Zeit zu machen.

 

Die Fragen stellte J. Paul Hendersons Lektorin Anna von Planta. Aus dem Englischen von Jenny Merling.

 

J. Paul Henderson, geboren 1948 in Bradford, Yorkshire, studierte Amerikanistik. Nach Gelegenheitsjobs als Gießer, Busfahrer und Finanzbuchhalter arbeitete er als Vertriebschef für den New Yorker Sachbuchverlag Wiley-Blackwell. Inzwischen wohnt er wieder in Bradford. Nachdem seine Mutter Alzheimer bekommen hatte und gestorben war, wurde er mit einem unernsten Roman über ein ernstes Thema, Letzter Bus nach Coffeeville, zum Schriftsteller. 

Letzter Bus nach Coffeeville, aus dem Englischen übersetzt von Jenny Merling, ist am 23.3.2016 erschienen. Auch als ebook.

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