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Amélie Nothomb: ›Ambivalenz‹ – Liebe und Rache

Stellt den Champagner kühl, es besteht Anlass zur Freude, denn ein neuer Roman der französischen Starautorin Amélie Nothomb ist im Juni in deutscher Übersetzung erschienen!

Eine Familiengeschichte über enttäuschte Liebe, Rachelust und Befreiung à la Nothomb: kurz, elegant und explosiv. Épicène lernt früh, als Einzelgängerin durchs Leben zu gehen. Als ihre Mutter in einem Pariser Stadtpalais den Launen ihres Mannes auf die Schliche kommt, weiß Épicène, was sie zu tun hat.

Wo die Wurzel allen Familienübels vergraben ist, erfahren wir in der folgenden Leseprobe:

(Auszug Seite 5 bis 7)

»Er entzürnt sich nicht.
Das Wort ›entzürnen‹, das es nicht gibt, aber geben könnte, ist nur in seiner Verneinung vorstellbar.
»Er entzürnt sich« wird man nie irgendwo lesen. Warum? Zorn ist kostbar, weil er vor Verzweiflung schützt.
   Drei Stunden zuvor gab es keinen glücklicheren Mann als ihn.
   »Du bist die Schönste. Neben dir sind alle anderen hässlich. Nein, es gibt überhaupt keine Frauen neben dir.«
   »Du wirst dich aber daran gewöhnen müssen.«
   »Seit fünf Jahren schlafen wir miteinander, und noch nie waren wir so grandios. Sind wir nicht unvergleichlich?«
   »Nein.«
   »Dein Name ist Reine. Anfangs war ich erschrocken, dass du Königin heißt. Heute fände ich es unerträglich, wenn du anders hießest. Reine – das bist
du. Bleib bei mir, Liebste.«
   »Ich kann nicht.«
   »Wo willst du hin?«
   »Heiraten.«
   »Sehr komisch.«
   »Das ist kein Witz. In zwei Tagen heirate ich Jean-Louis.«
   »Was sagst du da?«
   »Ich heirate Jean-Louis. Du kennst ihn.«
   »Aber mich liebst du doch, mich! Und mich
wirst du auch heiraten.«
   »Als meine Eltern geheiratet haben, liebten sie einander bis zum Wahnsinn. Ihr Leben war dann eher mittelmäßig. Heute ist meine Mutter das
Dienstmädchen meines Vaters. Das wäre mir zu wenig.«
   »Mit mir wirst du kein mittelmäßiges Leben führen.«
   »Wir sind seit fünf Jahren zusammen. Außer Liebe hast du nicht viel zu bieten.«
   »Du hast dich aber nie beklagt.«
   »Sei bitte nicht vulgär! Jean-Louis wird die Nummer zwei eines riesigen Elektronikunternehmens. Er geht mit mir nach Paris.«
   »Paris!«
   »Ja, Paris. Highlife, Pracht und Herrlichkeit. Das war schon immer mein Traum. Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich aus diesem Kaff hier wegwill.«
   »Ich bin erst fünfundzwanzig.«
   »Und ich bin schon fünfundzwanzig. Ich kann nicht länger warten.«

   »Weiß Jean-Louis von mir?«
   »Wie denn nicht?«
   »Und?«
   »Das ist Vergangenheit.«
   »Vergangenheit! Vor einer halben Stunde haben wir gevögelt wie die Götter!«
   »Das war das letzte Mal.«
   Schweigend zog Reine sich an.
   »Das kann nicht sein, Liebste! Sag mir, dass das ein entsetzlicher Albtraum ist, ein grausamer Scherz, eine Provokation!«
   »Es ist die Wahrheit. Adieu.«

Allein gelassen, entscheidet er sich für den Zorn. Den will er nähren, indem er sich rächt. Doch worin wird seine Rache bestehen? Wird er Reine töten? Bestimmt nicht. Das würde auf ihn zurückfallen.
   Nein. Reine soll leiden. Sie soll genauso leiden wie er.
   Er wird sich nie wieder entzürnen.«

 

Ein sehr empfehlenswerter Beitrag zum neuen Roman: 3sat Kulturzeit hat Amélie Nothomb in ihrem Büro in Paris besucht. (ab Min. 15:12)

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Ambivalenz

Amélie Nothomb, geboren 1967 in Kobe, Japan, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten hauptsächlich in Fernost verbracht. In Frankreich stürmt sie mit jedem neuen Buch die Bestsellerlisten und erreicht Millionenauflagen. Ihre Romane erscheinen in über 40 Sprachen. Für Mit Staunen und Zittern erhielt sie den Grand Prix de l'Académie française, für Premier Sang den Prix Renaudot 2021. Amélie Nothomb lebt in Paris und Brüssel.

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