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›Der talentierte Mr. Ripley‹ wird 60!

Mit Tom Ripley schuff Patricia Highsmith vor 60 Jahren, im Dezember 1955, einen der unheimlichsten, unwiderstehlichsten und erfolgreichsten Serienhelden der Weltliteratur. Tom Ripley, der lässig-elegante Hochstapler mit dem Talent zum Morden und sich immer wieder neu Erfinden, machte seine Schöpferin zum Weltstar und wurde durch René Cléments Kultverfilmung mit Alain Delon (Nur die Sonne war Zeuge) erst recht populär.

Foto: © Mihael Grmek (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Den Ausgangspunkt für die Schaffung dieser Figur beschrieb Patricia Highsmith wie folgt:

An den Ort, wo Ripley ›geboren‹ wurde, erinnere ich mich, weil er sich dort als Gestalt ohne Geschichte in mein Gedächtnis einnistete. Es war in Positano, im Spätsommer oder Frühherbst 1951, als ich zum ersten Mal dort war. Ich wohnte mit einer Freundin in einem Hotel, und vor unserem Zimmer oder unseren Zimmern war ein Balkon mit Blick auf den Strand und das Meer. Es ist eine idyllisch geschwungene Küste mit angetäuten oder vor Anker liegenden kleinen Fischerbooten.

Aber der Strand ist steinig und unangenehm für die Füße. Eines Morgens wachte ich gegen sechs Uhr auf und ging auf die Terrasse. Es war kühl und ganz still. Die hoch hinter dem Hotel aufragenden Klippen konnte ich nicht sehen, nur rechts und links ein Stück. Keine Menschenseele weit und breit, nichts regte sich, nur eine Möwe da und dort, da sah ich auf einmal einen jungen Mann in Shorts und Sandalen daherkommen, der mit einem Handtuch über der Schulter von rechts nach links am Strand entlangging. Er blickte zu Boden – natürlich, wegen der Steine. Ich konnte nur sehen, dass er glattes, eher dunkles Haar hatte. In seiner ganzen Haltung lag etwas Nachdenkliches, es schien ihm nicht wohl zu sein in seiner Haut. Und warum war er allein? Er wirkte auf mich nicht wie der sportliche Typ, der zu so früher Stunde allein loszieht, um ein kühles Bad zu nehmen. Hatte er sich mit jemandem gestritten? Was ging in ihm vor? Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Alain Delon als Tom Ripley in der Verfilmung von René Clément Nur die Sonne war Zeuge (1960).

Und als ich mir dann die erste Ripley-Geschichte ausdachte, als ich die ersten Seiten schrieb – da weiß ich gar nicht mehr, ob mir da die Szene mit der einsamen Gestalt am Strand von Positano überhaupt wieder in den Sinn gekommen ist oder nicht. Ich hatte das Bild nicht schriftlich festgehalten und habe es dann auch nie in einer Positano-Szene benutzt (das Dorf erhielt einen anderen Namen). Es war wie ein verblichenes und dennoch unauslöschliches Foto in meinem Gehirn, nahezu vergessen, bis ich Jahre später von Journalisten gefragt wurde: »Woher hatten Sie diese Idee mit Ripley?« Und während ich mir den Kopf nach einer Antwort zerbrach, mich zu erinnern versuchte, wo das nur gewesen war, hatte ich auf einmal wieder diesen einsamen jungen Mann am Strand vor mir, und ich beschrieb sein Aussehen – wie es mir aus mindestens zweihundert Metern Entfernung vorgekommen war.

»Haben Sie diesen Mann je kennengelernt?« lautete natürlich die nächste Frage. Nein, und ich weiß nicht einmal genau, ob ich ihn noch je, etwa in einer Gastwirtschaft oder einer Bar in Positano, wieder gesehen habe. Ich war auf dieser ersten Europareise zwar noch ein paar Tage in Positano geblieben, aber mir wäre nicht im Traum eingefallen, Ausschau nach diesem Amerikaner zu halten, den ich einmal frühmorgens am Strand gesehen hatte. Wozu auch, was hätte ich davon gehabt? Ein näheres Hinsehen hätte womöglich alles kaputtgemacht. 

Aus dem Amerikanischen von Anne Uhde

Foto: © KEYSTONE/Picture-Alliance/Photoshot

 

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Neben Der talentierte Mr. Ripley (1955) sind noch vier weitere Ripley-Romane erschienen: Ripley Under Ground (1970), Ripley´s Game oder Der amerikanische Freund (1974), Der Junge, der Ripley folgte (1980), Ripley Under Water (1991). 40 Jahre nach Cleménts Kultfilm drehte Oscar-Preisträger Anthony Minghella ein Remake (Der talentierte Mr. Ripley) mit Matt Damon. 

Zum 60. Jubiläum erscheinen alle Ripley-Romane in einer attraktiven Geschenkausgabe im Schuber.

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