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»Es geht in dem Roman immer wieder um das Spannungsfeld aus Verbindung und Distanz.«
Ein Interview mit Esther Schüttpelz

»Die zweite Hochzeit zahlst du selber, sagt Mama.« Im Debüt Ohne mich von Esther Schüttpelz sucht die Erzählerin nach dem Grund für ihre Trennung, nach einem Plan für die Zukunft. Sie ist Mitte zwanzig, gerade fertig mit dem Studium und genauso frisch verheiratet wie getrennt. Der Roman erscheint schon bald am 22.2.2023 und erzählt verletzlich, scharfzüngig und komisch über das Jahr danach.

Im Diogenes Interview erfahren wir mehr über die neue Autorin Esther Schüttpelz und welche Parallelen es zwischen ihr und der Hauptfigur gibt. Sie lässt uns auch wissen, weshalb Ohne mich für sie eben kein Generationsroman ist und warum es beim Schreiben manchmal rauscht.


Wollten Sie schon immer Schriftstellerin werden?
Esther Schüttpelz: Es ist ja manchmal rückblickend nicht ganz leicht zu beurteilen, ob man etwas »schon immer« wollte. Aber wenn ich mich erinnere, gibt es doch eine Reihe von Hinweisen darauf, dass ich tatsächlich schon immer Schriftstellerin werden wollte. Zum Beispiel: Meine Mutter erzählt mir, dass ich, als ich gerade Schreiben gelernt hatte, zu ihr gesagt habe: »Guck mal, Mama, ich kann genauso schnell schreiben wie denken« (ich kann mich gar nicht daran erinnern). Oder: Es gab im Kindes- und Jugendalter immer wieder angefangene »Romane«, Kurzgeschichten, Gedichte. Wenn ich irgendwo etwas schreiben sollte, wuchs ich über mich hinaus. Schreiben ist immer das gewesen, was ich am allerliebsten gemacht habe. Kürzlich haben wir unser zehnjähriges Abitur gefeiert, und da hat jemand unsere »Abizeitung« mitgebracht, in der jeder so einen Steckbrief hatte. In diesem sollte man unter anderem angeben, welchen Berufswunsch man hat. Ich gab »Schriftstellerin« an. Auch daran kann ich mich nicht erinnern.

Sie haben Jura studiert, warum haben Sie sich dafür entschieden? Und wann haben Sie sich daran gemacht, Ihren ersten Roman zu schreiben
Esther Schüttpelz: Ich habe schon immer geschrieben und mir insgeheim auch gewünscht, dass das, was ich schreibe, von anderen gelesen wird. Früher hätte ich – vielleicht aus Angst davor, als eitel oder zu verträumt wahrgenommen zu werden – diesen Wunsch so wahrscheinlich nicht kundgetan. Auch deshalb habe ich mich damals dazu entschlossen, Jura zu studieren. Ich hatte einfach keine Ahnung, wie ich von einer Person, die schreibt, zu einer Schriftstellerin werden könnte. Also dachte ich, es ist gut, etwas über die Welt zu lernen und meinen anderen Interessen nachzugehen. Dazu gehört die Funktionsweise unserer Gesellschaft, über die man einiges lernt, wenn man sich mit ihren Regeln auseinandersetzt. Ich habe das Jurastudium und auch das Referendariat durchgezogen, hatte allerdings Schwierigkeiten damit, mich als Juristin zu identifizieren. Trotzdem habe ich sogar ein halbes Jahr als Rechtsanwältin gearbeitet, was auch eigentlich gut lief. Der Wunsch danach, mich kreativ auszudrücken, wurde während dieser Zeit allerdings immer größer. Ich habe ja, wie die Erzählerin in meinem Roman, in Münster studiert und dort auch mein Referendariat absolviert. Als ich nach Berlin zog, nahm ich mir eines vor: Geh raus, rede mit jedem, den du triffst, und erzähle allen, dass du schreibst. Ich wusste, dass irgendetwas passieren musste. Und es ist etwas passiert. Einmal saß ich in einer Bar, und neben mir war ein älterer Mann, der erzählte, er sei Journalist und schreibe. Ich habe mich mit ihm angefreundet und ihm die ersten dreißig Seiten von dem Text geschickt, der jetzt Ohne mich heißt. Den hatte ich kurz vorher angefangen. Der Mann schickte den Text an eine Frau, die dann meine Agentin wurde. Das kann alles nicht wahr sein, habe ich damals gedacht. So ging das los.

Die Protagonistin Ihres Romans ist Mitte 20. Sind die Fragen und Konflikte, vor denen sie steht, besonders symptomatisch für ihre Generation?
Esther Schüttpelz: Natürlich ist die Erzählerin wie wir alle vom Zeitgeist geprägt, und das, was sie umgibt, ist stellenweise sicher typisch für ihre Generation. Für mich ist Ohne mich aber kein Generationsroman. Dazu fehlt der Erzählerin die Identifikation mit dem, was symptomatisch für ihre Generation ist, und auch ganz grundsätzlich mit Gruppen von anderen Menschen. Sie wahrt fast immer eine Distanz zu ihrer Umgebung und auch zu sich selbst. Versuche, sich mit einer Gruppe zu verbinden, scheitern. Für mich stehen typische Sehnsüchte und Zweifel von jungen Erwachsenen, aber vielleicht auch von älteren Erwachsenen, die ja ebenso die Gegenwart bewältigen müssen, im Vordergrund.

Wie würden Sie die Entwicklung der Erzählerin beschreiben, die sie innerhalb des Jahres durchmacht?
Esther Schüttpelz: Vermutlich kann man kaum von einer Entwicklung sprechen. Man darf die Erzählerin in einer Phase begleiten, in der sie versucht, sich zu entwickeln, irgendwie weiterzukommen, aber es eigentlich nicht schafft. Erst gegen Ende zeichnet sich der Beginn einer geradezu unverhofft eintretenden Entwicklung ab.

Warum trägt die Ich-Erzählerin keinen Namen? Auch der Ehemann heißt immer nur »der Ehemann«.
Esther Schüttpelz: Es geht in dem Roman immer wieder um das Spannungsfeld aus Verbindung und Distanz. Die Erzählerin weist eine große Distanz zu sich und ihrer Umgebung auf, was ihr manchmal zugutekommt, sie manchmal aber auch plagt. Dass der Ehemann von ihr keinen Namen erhält, ist Ausdruck dieser Distanz, des vielleicht etwas hilflosen Versuches, cool zu sein und nichts zu nah an sich heranzulassen.

Wie schaffen Sie es, so radikal, witzig und mit hohem Tempo zu erzählen? Haben Sie im Nachhinein immer mehr verdichtet?
Esther Schüttpelz: Hui, erst einmal: Danke für das Kompliment. Die zweite Frage ist leichter zu beantworten als die erste. Ich habe im Nachhinein sehr wenig verdichtet. Was ich schreibe, schreibe ich in der Regel sehr schnell und hoch konzentriert runter. Danach bin ich dann ziemlich erschöpft. Man kann vielleicht fast von einem rauschartigen Zustand sprechen. Ich spüre, wenn ich gerade in der Lage bin, in diesen Zustand zu gelangen. Wenn ich andersherum merke, dass ich mich in einem Moment befinde, in dem ich diese unmittelbare Verbindung zwischen mir und dem leeren Worddokument nicht hinbekomme, dann lasse ich es auch sein. Ich glaube, ich schreibe am besten, wenn es mir Spaß macht und wenn Leidenschaft mit im Spiel ist.

Nebst der Literatur gehört Ihre Begeisterung der Musik, Sie schreiben auch eigene Songs und begleiten sich dabei selbst. Was verbindet Literatur und Musik, oder sind sie notwendige Ergänzungen?
Esther Schüttpelz: Ich bin keine super Musikerin, aber mir kommen immer wieder Ideen für Songs und vor allem für Songtexte. Vielleicht fühlt es sich auch sicherer an, von einem Songtext zu sprechen statt von einem Gedicht. Ich weiß nämlich nicht, was ein gutes Gedicht ausmacht. Bei einem Songtext habe ich da schon eher eine Vorstellung. Auch ergeben sich wunderschöne Wechselwirkungen zwischen dem Entstehen von Musik und von einem dazu passenden Text. Die Musik kann mit Stimmung, Rhythmus, Melodie bei der Suche nach einem Text ein Geländer darstellen. Ich finde es außerdem schön, wie ein fertiger Song dann mit einem wächst, immer wieder eine andere Bedeutung erhält. Letztlich ist das aber einfach etwas, was ich nun einmal mache und wahrscheinlich auch immer machen werde; auch da treibt mich – obwohl ich mich eigentlich oft als eher sachlichen Menschen wahrnehme – die pure Leidenschaft. Das ist ein gutes Gefühl.

Und was interessiert Sie sonst, abgesehen von Literatur, Musik und Jura?
Esther Schüttpelz: Naturwissenschaften faszinieren mich nicht so sehr, aber ansonsten interessiere ich mich eigentlich für alles. Ich war schon immer sehr durstig nach Wissen, und finde es auch wichtig – jedenfalls für mich (bei anderen bin ich da nicht so streng) –, Ahnung von dem zu haben, worüber ich spreche. Besonders interessiere ich mich für gesellschaftliche Phänomene, für (intersektionalen) Feminismus, für Philosophie, Geschichte und  für Steuer- und Finanzpolitik, Stichwort: Steuergerechtigkeit. Ich bin aber auch über Klatsch und Tratsch normalerweise bestens informiert.

Das Interview führte Kerstin Beaujean, Oktober 2022 © by Diogenes Verlag AG Zürich

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Ohne mich

Esther Schüttpelz, geboren 1993 in Werne, studierte Jura in Münster und arbeitete kurz als Rechtsanwältin, bevor sie ernsthaft zu schreiben begann. Sie macht Musik und schreibt eigene Songs. Sie lebt in Berlin.

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