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»Schon immer interessierten mich Personen, die ein wenig anders ticken.«
Ein Interview mit Ingrid Noll

Ingrid Noll hat uns mit dem 17.Roman beglückt: in Tea Time gründen mehrere junge Frauen aus einer Sektlaune heraus den Klub der Spinnerinnen. Als Nina ihre Handtasche verliert, beginnt eine verhängnisvolle Bekanntschaft. Eine typische Kriminalkomödie à la Ingrid Noll, in die ihre reiche Lebenserfahrung einfließt.

Im Diogenes Interview spricht Ingrid Noll über ihre eigenen Spleens, über den ›typisch weiblichen‹ Giftmord und darüber, welchen Wunsch sie den Weinheimer:innen nun endlich erfüllt hat.

Foto: Renate Barth / © Diogenes Verlag

Erzählerin Nina hat einen Spleen, wie ihre Bettdecke gewickelt sein muss, oder fotografiert unscheinbare Kräuter am Straßenrand, ihre engste Freundin Franzi kann nicht mit unordentlichen Teppichfransen leben – der Beginn der Klub der Spinnerinnen. Wie kamen Sie auf diese Idee? Und was verbirgt sich hinter den Macken?
Ingrid Noll: Spleens sind Teil unserer Persönlichkeit, manchmal liebenswert, manchmal kurios. Solange sie unter Kontrolle bleiben, gelten sie auch nicht als krankhafte Zwangsneurosen. Gelegentlich sorgen sie sogar für mehr Sicherheit im Alltag. Schon immer interessierten mich Personen, die ein wenig anders ticken, auch in meinen früheren Romanen bevorzugte ich Protagonisten, die nicht ganz in die Norm passen.

Haben Sie auch irgendwelche Unarten, über die so manche:r den Kopf schütteln würde?
Ingrid Noll: Bestimmt mehr als eine! Zum Beispiel ekle ich mich vor Milch, obwohl ich Käse und Milchprodukte sehr gern esse. Aber man stellt mir beim Kaffeetrinken immer und überall das Milchkännchen direkt vor die Nase, das ich zur Belustigung meiner Mitmenschen mit großer Entrüstung und einem Aufschrei weit von mir schiebe.

Wie würden Sie die Frauenfreundschaften innerhalb des Klubs beschreiben? Uneingeschränkte Loyalität und Harmonie scheinen ja nicht immer an der Tagesordnung zu sein ...
Ingrid Noll: Nun, es handelt sich ja in diesem Fall eigentlich nicht um echte Freundschaften, ein Klub ist im Grunde nur eine Interessengemeinschaft. Und in diesem Fall haben ihre unterschiedlichen Schrullen und Hobbys keinen gemeinsamen Nenner, es handelt sich eher um ein zufällig entstandenes Bündnis. Man möchte ein bisschen Spaß miteinander haben, also eigentlich nur eine oberflächliche Basis.

Ingrid Noll im Gespräch mit Jan Drees und ihrer Lektorin Ursula Baumhauer bei Deutschlandfunk Büchermarkt, live von der Buchmesse gesendet.

Trotz moralischer Bedenken handeln Nina, Franzi & Co doch überraschend kriminell-pragmatisch, entweder aus Lust am Thrill oder zur Vermeidung von bedrohlichen Situationen. Wie schaffen Sie es, dass wir die Protagonistinnen trotz ihres laxen Verständnisses von Recht und Unrecht nicht verurteilen, sondern mehr als liebenswert finden?
Ingrid Noll: Man muss meine Heldinnen nicht unbedingt mögen, sondern sollte sie bloß verstehen. Mir sind selbstgerechte Menschen immer ein wenig suspekt, in bestimmten Situationen ist fast jeder zu einer Straftat fähig. Falls man nur zur Verteidigung oder aus materieller Not handelt, ist es sowieso kein Verbrechen. Aber auch ohne einen plausiblen Grund: Gelegenheit macht manchmal Diebe.

Treue Ingrid-Noll-Leser:innen haben es sicherlich bereits wahrgenommen: Ihre Figuren sind häufig kleptomanisch veranlagt, auch in Tea Time wird »stibitzt«. Was steckt dahinter?
Ingrid Noll: Es ist bei mir allerdings nie von gewerbsmäßigem Einbruch die Rede. In der Pubertät ist Klauen oft eine Mutprobe. Als Teenager hat wohl fast jeder schon mal etwas eingesteckt, und wenn es nur ein Schokoladeriegel war. Im fortgeschrittenen Alter ist es zwar eine Dummheit, aber oft auch eine Kompensation. Frauen im Klimakterium bekommen mildernde Umstände zugebilligt. Bei meiner Heldin Nina ist es ein vages Gefühl der Benachteiligung, das sie durch den Diebstahl hübscher kleiner Gegenstände ausgleicht.

Nina hat aufgrund ihres Berufes als Apothekenhelferin profunde Kenntnisse über die Wirksamkeit des einen oder anderen Krauts, in einem Ihrer ersten großen Erfolge spielte auch eine Apothekerin die Hauptrolle. Eine bewusste Reminiszenz?
Ingrid Noll: Nicht unbedingt. Da ich aber aus einer Ärztedynastie stamme, sind mir Apotheken seit meiner Jugend vertraut. In meinem Keller steht immer noch der eiserne, uralte Medizinschrank meines Vaters mit den vielen Schublädchen.

Der Giftmord gilt gemeinhin als raffiniert, heimtückisch – und typisch weiblich. Wie erklären Sie sich das?
Ingrid Noll: Schon immer lag die Krankenpflege weitgehend in weiblicher Hand. Frauen kannten sich mit heilenden Kräutern gut aus, ebenso aber auch mit giftigen. Und wenn es schließlich um die Beseitigung eines unliebsamen Mitmenschen ging, ließen sich Frauen aus verständlichen Gründen ungern auf einen Nahkampf ein. Sie mussten sich etwas Schlaueres einfallen lassen, um nicht erwischt zu werden. Der Tod auf dem Scheiterhaufen war die grauenhafte Strafe.

Nina findet Gefallen an ihrem Hausmitbewohner – Halbfranzose Yves ist aber auch eher verschroben. Gleich und gleich gesellt sich gern?
Ingrid Noll: Man sagt auch, Gegensätze zögen sich an – beide Sprüche basieren auf Erfahrungswerten. Aber ich denke, auf Dauer haben Beziehungen mit einer soliden Übereinstimmung an Werten, Gewohnheiten, Geschmack und Humor die besseren Aussichten. Nina und Yves haben auf jeden Fall eine gute Chance.

Tea Time ist Ihr erster Roman, der explizit in Weinheim spielt. Warum jetzt, wie kam es dazu? Was macht Weinheim für Sie aus?
Ingrid Noll: Meine Romane spielen zwar alle in meiner näheren Umgebung, aber theoretisch könnte ich sie auch woanders ansiedeln. Nur habe ich in meinem unmittelbaren Jagdrevier klare Szenarien vor Augen, das macht es mir leichter. Außerdem haben es sich viele Weinheimer gewünscht, dass unser friedliches Städtchen einmal zum Zentrum eines Verbrechens werden sollte (aber nur in der Theorie!).

Übrigens: in Weinheim wurde 2021 der erste Ingrid-Noll-Weg in ganz Deutschland eingeweiht.

Wie kamen Sie auf den Titel? Und ist eine Teestunde am Nachmittag für Sie auch ein bewährtes Ritual, um Zeit zum Reflektieren oder gar zum Erfinden weiterer Geschichten zu haben? Dürfen wir uns auf weitere Romane von Ingrid Noll freuen?
Ingrid Noll: Den endgültigen Titel bestimme ich immer erst zuletzt. Aber da ein gemütliches Teestündchen der Kontrapunkt zu einem giftigen Trank ist, fand ich ihn ganz passend. Ich selbst trinke meinen Tee lieber am Abend, am frühen Nachmittag brauche ich auf alle Fälle einen starken Kaffee! Und ich hoffe doch sehr, dass Tea Time nicht mein letzter Roman ist.

Das Interview führte Kerstin Beaujean, September 2022 © by Diogenes Verlag AG Zürich

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Tea Time

Ingrid Noll, geboren 1935 in Shanghai, studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist Mutter dreier erwachsener Kinder und vierfache Großmutter. Nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt zu Bestsellern wurden. 2005 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autor:innen für ihr Gesamtwerk.

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