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Das ungewöhnliche Portrait des deutschen Ausnahmekünstlers Marius Müller-Westernhagen

Er spielte in 25 Filmen und veröffentliche ebenso viele Alben, die sich millionenfach verkauften. Mit Liedern wie ›Freiheit‹ oder ›Sexy‹ prägt er ganze Generationen. Doch wer verbirgt sich eigentlich hinter der Rock-Ikone Marius Müller-Westernhagen?

Marius Müller-Westernhagen © Olaf Heine

Im einzigen autorisierten Portrait des Künstlers, geschrieben von Friedrich Dönhoff, spricht Marius Müller-Westernhagen in privaten Gesprächen über Berlin und Deutschland, über Komponieren und Schreiben, über Politik und Geschichte, Auftritte und Konzerte, Erfolge und Niederlagen.
    Lust zum Weiterlesen macht eine Leseprobe: Lesen Sie Prolog und erstes Kapitel.

Prolog

Köln, Müngersdorfer Stadion, 30. Juni 1995, gegen 22.30 Uhr.

Marius Müller-Westernhagen trägt zu Jeans und schwarzem Gehrock ein weißes Rüschenhemd mit weiten Manschetten. Hinter der Bühne steigt er auf ein Kettcar und hält seinen Cowboyhut fest. Vor ihm tritt ein Roadie in die Pedale. Das Fahrzeug bringt den Rockstar durch einen Tunnel unter dem Laufsteg, der von der Hauptbühne weit ins Publikum hineinragt.
    Am Ende der Röhre, nach ungefähr hundert Metern, steigt er wieder ab. Über ihm ein Tosen und Brausen, als würde ein Tsunami übers Stadion ziehen. Siebzigtausend Menschen skandieren: »Ma-ri-us! – Ma-ri-us! – Ma-ri-us!«
    Nach zwei Stunden und fünfundzwanzig Songs hat die Stimmung ihren Zenit erreicht. Der Roadie übergibt ihm das Mikrofon. Westernhagen überprüft den In-Ear-Monitor in seinem Ohr, steigt die Treppe hinauf, während sich über ihm der Boden zu einer kleinen Bühne am Ende des Laufstegs öffnet. Das Rauschen und die Rufe werden lauter.
    Er sieht zuerst die Kante des Bühnenbodens, dann die Köpfe der Menschen, aber sie sehen ihn nicht. Sie erwarten, dass er sich vorne auf der Hauptbühne zeigt, von der er vor ein paar Minuten, vor der Zugabe, verschwunden ist. Die Flutlichter strahlen rot über das Stadion.
    Er tritt hinaus, steht jetzt auf dem Podium am Ende des Laufstegs, mitten in der Menge, um ihn herum schauen lauter Gesichter aufgepeitscht und euphorisch zu ihm auf. Die Menschen weinen, schreien und strecken ihm ihre Arme entgegen.
    Er hebt das Mikrofon, will etwas sagen, bringt die Worte aber nur mit Mühe heraus: »Danke, danke«, schallt seine Stimme durch das Stadion. »Ich muss euch sagen … wir –«
    In diesem Moment spürt er die Energie der Menschen wie Druckwellen gleichzeitig von allen Seiten über ihm zusammenschlagen, es erwischt ihn mit voller Wucht, und er kann kaum fassen, was da gerade passiert.
    Plötzlich ist es, als würden sich seine Füße vom Boden lösen und er langsam abheben. Hastig schaut er sich nach etwas um, woran er sich festhalten kann, aber da ist nichts, nicht mal ein Mikrofonständer. Er geht in die Hocke, rührt sich nicht, versucht ruhig zu atmen.
    Als er aufschaut und sich traut, wieder hochzukommen, ist er wie benommen. »Okay«, er atmet schwer, »danke«, sagt er mit Tränen in den Augen, und seine Stimme schallt durch das Stadion. »Wir haben –« Er bricht ab, drückt sich zwei Finger an die Nase. »Wir haben vor diesem Konzert zwölf wahnsinnige Konzerte gespielt«, und nun hat er seine Stimme wieder im Griff. »Aber das hier, das ist das Wahnsinnigste, was ich in meiner ganzen Karriere erlebt habe.« Er blickt hinaus. »Danke!«
    Er wendet sich seinem Pianisten am Flügel zu und gibt das Zeichen.
    Das Intro zum Song Freiheit beginnt, und mit den ersten Tönen flammen kleine Lichter auf, Hunderte, Tausende, ein Lichtermeer unter dem schwarzen Nachthimmel. Dann singt das ganze Stadion:

Die Verträge sind gemacht
Und es wurde viel gelacht
Und was Süßes zum Dessert
Freiheit, Freiheit …

Die Kapelle, rumm ta ta
Und der Papst war auch schon da
Und mein Nachbar vorneweg

Freiheit, Freiheit
Ist die Einzige, die fehlt

Der Mensch ist leider nicht naiv
Der Mensch ist leider primitiv
Freiheit, Freiheit
Wurde wieder abbestellt

Alle die von Freiheit träumen
Sollen ’s Feiern nicht versäumen
Sollen tanzen auch auf Gräbern

Freiheit, Freiheit
Ist das Einzige, was zählt
Freiheit, Freiheit
Ist das Einzige, was zählt.

Um in die Stimmung zu kommen: Ein Auszug des Abschiedskonzerts von Marius Müller-Westernhagen 1999 in Düsseldorf.

1

Berlin, im Juni 2020.

Der Fahrstuhl hält im vorletzten Stock. Die Türen öffnen sich. Am Ende des Gangs, die Arme vor der Brust verschränkt, lehnt eine schlanke Gestalt in T-Shirt und Jeans in der offenen Wohnungstür. Der Blick von Marius Müller-Westernhagen ist neugierig und prüfend.
    »Schön, dass es geklappt hat«, sagt er und gibt mir seine Hand, an deren Fingern mehrere silberne Ringe stecken.
    »Haben Sie es gleich gefunden?« Seine Stimme ist tief und raumfüllend.
In der Wohnung ist jedes Geräusch leise, als würde irgendetwas alle Töne schlucken. Tageslicht strömt von verschiedenen Seiten herein, an der Wand stehen leere Kartons.
    »Wollen Sie umziehen?«, frage ich.
    Er schaut sich überrascht um. »Nein. Wir sind gerade eingezogen. In Mitte war mir und meiner Frau zu viel Trubel. In Charlottenburg ist es ruhiger.«
    Im offenen Wohnzimmer stehen sich zwei Kanzlersofas von Le Corbusier gegenüber, eins in Grau, eins in dunklem Lila, und so lang, dass auf jedem bequem sechs Leute sitzen könnten. Dazwischen eine freie Fläche mit graublauem Teppich. Der Tisch, sagt Westernhagen, werde noch geliefert.
    An den Wänden hängt moderne Kunst, neben der Kommode stehen sechs Akustikgitarren aufgereiht. Gegenüber, auf der anderen Seite des Raums, befindet sich ein Flügel aus dunklem Holz. Neben dem Kamin hängen drei große Schwarz-  Weiß-Portraits: der junge John Lennon, George Harrison und Paul McCartney.
    »Das sind Originalprints von Astrid Kirchherr«, sagt Westernhagen, »eine sehr enge Freundin von mir, die leider vor Kurzem verstorben ist.«
    Hinter den großen Fenstern und der offenen Terrassen-tür sind der Himmel und ein grünes Meer von Baumkronen im nahen Park zu sehen.
    »Wollen wir uns setzen?«, fragt er, und schon sind wir mitten im Gespräch: über Hamburg und Berlin, das neue Stadtschloss, Deutschland und darüber, ob es in diesem Land ein Rassismusproblem gibt. Über das Komponieren von Liedern und das Schreiben von Büchern, ob und wie sich das eine vom anderen unterscheidet und wo in Berlin es eigentlich die besten Burger und Pommes gibt, das beste indische Restaurant.
    Nie scheint er davon auszugehen, dass sein Besucher irgendetwas über sein Leben oder seine Karriere wissen müsste. Dass er ein sehr erfolgreicher Schauspieler war. Rockstar auf der Bühne und in Musikvideos, dass er es als erster deutscher Musiker wagte, eine Tournee in Fußball-stadien zu spielen, dass sieben seiner vielen Nummer-eins-Alben jeweils mehr als eine Million Mal verkauft wurden – was bis heute niemand anderem in Deutschland gelungen ist – , über das alles verliert er kein Wort. Und auch nicht über die Etiketten, die an ihm kleben: Der Underdog aus dem Kohle revier und der Armani-Rocker, der erste Deutsche, der zum Megastar gemacht wurde, genial und normal, der Kumpel von nebenan und der Elitäre. Und er thematisiert auch nicht, dass immer mal wieder gefragt wird: Wer ist denn dieser Marius Müller- Westernhagen eigentlich wirklich?
    Wir sind längst zum Du übergegangen, als wir auf unser mögliches Buchprojekt zu sprechen kommen. Mein Verleger hatte angeregt, dass wir uns mal treffen. Obwohl oder gerade weil ich von Marius Müller-Westernhagen nicht viel wusste, nur ein paar seiner Songs kannte. Ich würde ihm völlig unvoreingenommen begegnen, bei null anfangen und sehen, wohin es uns trägt. Wie bei einer zufälligen Begegnung mit einem Menschen im Zug. Genau das hat Westernhagen gefallen. Ihn interessierte keine klassische Biografie, sondern ein Projekt, bei dem wir über Themen der heutigen Zeit sprechen, die ihn bewegen, und nebenbei auch über sein  Leben.
    Wir verabreden uns für die kommende Woche zum nächsten Treffen. Auf dem Weg zur Tür bleibt er vor dem Bücherregal stehen, legt den Kopf in den Nacken und sucht die Reihen ab. Dann entdeckt er ganz oben einen Bildband. Er streckt die Arme aus und versucht, den Wälzer unter einem Stapel herauszuziehen. Einen Moment lang fürchte ich, er werde gleich unter einem Berg von Büchern begraben, aber im nächsten Augenblick hält er das Buch in den Händen. Ein Fotoband über ihn.
    Marius Müller-Westernhagen als Kind in den Fünfzigerjahren und als Jugendlicher im Fußballtrikot, als Schau-spieler in den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern, der Rockstar auf der Bühne im Stadion vor einer riesigen Masse von Menschen. Teils private, teils offizielle Fotos, manche professionell, andere amateurhaft und viele Schnappschüsse. Doch eines fällt auf: Der Blick des Menschen auf den Fotos ist über all die Jahre immer der gleiche. Es ist sein Blick, den er auch jetzt beim Betrachten der Fotos hat: neu-gierig, vorsichtig, leicht amüsiert.
    Er blättert durch das Buch, möchte auf keiner Seite länger verweilen, will es mir eigentlich nur zur Vorbereitung mitgeben. Manchmal wirkt er verwundert, mal lacht er auf. Dann klappt er das Buch entschlossen wieder zu.
     »Du hast dich wenig verändert«, sage ich zu ihm. Im Siebenjährigen ist auch der heute über Siebzigjährige gut zu erkennen und umgekehrt.
    »Der Junge ist ja auch immer hier«, antwortet er und schlägt sich einmal mit der flachen Hand an die Brust.

Marius Müller-Westernhagen
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Marius Müller-Westernhagen

Ein Portrait
Mit einem Nachwort von Philipp Keel

›Freiheit‹, ›Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz‹, ›Sexy‹, ›Lass uns leben‹, ›Wieder hier‹ sind Songs, die ganze Generationen geprägt haben. Doch wer verbirgt sich dahinter? In diesem sehr persönlichen und facettenreichen Buch erzählt Marius Müller-Westernhagen, was ihn bewegt und zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist. Seine Erinnerungen führen zurück in seine Kindheit, in die junge BRD und zu den ersten Auftritten in der Zeit der Jugendrevolten, als eine neue Art von Musik beginnt, die Welt zu verändern.


Hardcover Leinen
256 Seiten
erschienen am 23. November 2022

978-3-257-07202-0
€ (D) 25.00 / sFr 34.00* / € (A) 25.70
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