Filter

  • Neuste Beiträge
  • Archiv
  • Monat
  • Foto/ Video/ Audio

Anton Cechov ›Späte Erzählungen in zwei Bänden 1893 – 1903‹

Wie soll man leben? Wahrhaftig und frei. Die Notwendigkeit des Aufbruchs vom falschen in ein richtiges Leben spricht aus Anton Cechovs späten Erzählungen mit einer Intensität, wie sie in nur wenigen Texten der Weltliteratur zu finden ist. Anton Cechovs berühmtes Spätwerk ist nun vollständig ediert und mit umfangreichem Anmerkungsteil in der Neuübersetzung von Peter Urban erschienen.

Den ersten Teil der Erzählung ›Anna am Halse‹ veröffentlichen wir hier als Kostprobe:

1

Nach der Trauung gab es nicht einmal einen leichten
Umtrunk; das junge Paar trank ein Glas, kleidete
sich um und fuhr zum Bahnhof. Statt eines ausgelassenen
Hochzeitsballs, statt Musik und Tanz – eine Wallfahrt über
zweihundert Verst. Viele hießen das gut und sagten, Modest
Alekseič stehe bereits in Rang und Würden und sei
nicht mehr jung, und eine rauschende Hochzeit könne
wohl als nicht ganz schicklich erscheinen; außerdem stimmt
es einen traurig, der Musik zu lauschen, wenn ein Beamter
von 52 Jahren ein Mädchen heiratet, das gerade erst 18 geworden
ist. Man sagte auch, Modest Alekseič, als ein Mann
von Grundsätzen, habe die Reise ins Kloster eigens deshalb
geplant, um seiner jungen Frau zu verstehen zu geben, dass
er auch in der Ehe Religion und Moral den ersten Platz einräume.
Man begleitete das junge Paar. Die Menge der Dienstkollegen
und Verwandten stand, das Glas in der Hand, und
wartete, dass der Zug abfuhr, um Hurra zu rufen, und Pëtr
Leontjič, der Vater, in Zylinder, im Lehrerfrack, schon betrunken
und schon sehr blass, reckte dauernd sein Glas
zum Fenster empor und sagte flehentlich:
– Anjuta! Anja! Anja, auf ein Wort!
Anja beugte sich aus dem Fenster zu ihm hinunter, und er
flüsterte ihr etwas zu, wobei er sie in Alkoholdünste hüllte,
ihr ins Ohr blies, kein Wort war zu verstehen – , und bekreuzigte
ihr Gesicht, ihre Brust und Hände; dabei zitterte sein
Atem und in den Augen glitzerten Tränen. Während Anjas
Brüder, Petja und Andrjuša, Gymnasiasten, ihn von hinten
an den Frackschößen zogen und verlegen flüsterten:
– Papočka, schon gut … Papočka, nicht doch …
Als der Zug anfuhr, sah Anja, wie ihr Vater noch ein
Stück hinter dem Wagen herlief, schwankend und seinen
Wein verschüttend, und was für ein klägliches, gutes,
schuldbewusstes Gesicht er hatte.
– Hurra-a-a! – schrie er.
Das junge Paar blieb allein. Modest Alekseič sah sich im
Abteil um, verstaute die Sachen im Gepäcknetz und setzte
sich seiner jungen Frau gegenüber, lächelnd. Er war ein Beamter
von mittlerem Wuchs, ziemlich füllig, mollig, sehr
satt, mit langem Backenbart und ohne Schnurrbart, und
sein rasiertes, ausgeprägt rundes Kinn hatte Ähnlichkeit
mit einer Ferse. Das Charakteristischste an seinem Gesicht
war das Fehlen des Schnurrbarts, diese frisch rasierte nackte
Stelle, die allmählich in die fetten, wie Gelee zitternden
Wangen überging. Er hielt sich würdevoll, seine Bewegungen
waren nicht schnell, seine Manieren weich.
– Ich kann nicht umhin, mich heute eines Umstands zu
erinnern, – sagte er, lächelnd. – Vor fünf Jahren, als Kosovorotov
den Orden der heiligen Anna zweiter Klasse erhielt
und sich bedanken kam, drückte Seine Durchlaucht
sich folgendermaßen aus: »Also haben Sie jetzt drei Annen:
eine im Knopfloch, und zwei am Halse.« Dazu muss
man sagen, dass damals eben erst seine Frau zu ihm zurückgekehrt
war, eine zänkische und leichtsinnige Person, die
Anna hieß. Ich hoffe, dass Seine Durchlaucht, wenn ich die
Anna zweiter Klasse erhalte, keinen Anlass haben wird, zu
mir dasselbe zu sagen.
Er lächelte mit seinen kleinen Äuglein. Auch sie lächelte,
beunruhigt vom Gedanken, dass dieser Mensch sie jeden
Augenblick küssen könne mit seinen vollen, feuchten Lippen
und dass sie nicht mehr das Recht habe, ihm das zu
verwehren. Die weichen Bewegungen seines molligen Körpers
schreckten, ängstigten sie und waren ihr zuwider. Er
stand auf, legte ohne Eile den Orden ab, legte Frack und
Weste ab und zog den Chalat über.
– So ist das, – sagte er und setzte sich neben Anja.
Sie erinnerte sich, wie qualvoll die Trauung gewesen war,
als ihr schien, dass der Geistliche, die Gäste und alle in der
Kirche sie betrübt ansähen: wozu, wozu heiratet sie, die so
lieblich und hübsch ist, diesen betagten, uninteressanten
Herrn? Noch heute Morgen war sie begeistert gewesen,
dass sich alles so gut gefügt hatte, während der Trauung
hingegen und jetzt im Abteil fühlte sie sich schuldig, betrogen
und lächerlich. Nun hatte sie also einen Reichen geheiratet,
aber Geld hatte sie trotzdem keins, das Hochzeitskleid
war auf Pump genäht, und als heute der Vater und
ihre Brüder sie begleiteten, hatte sie ihren Gesichtern angesehen,
dass sie keine Kopeke mehr hatten. Würden sie heute
zu Abend essen? Und morgen? Und aus irgendeinem
Grunde schien ihr, als säßen der Vater und die Knaben
ohne sie hungrig da und verspürten genau die gleiche Wehmut
wie am ersten Abend nach der Beerdigung der Mutter.
»Oh, wie bin ich unglücklich! – dachte sie. – Wozu bin
ich so unglücklich?«
Mit der Ungeschicklichkeit eines würdevollen Menschen,
der den Umgang mit Frauen nicht gewöhnt ist, berührte
Modest Alekseič sie in der Taille und klopfte ihr auf
die Schulter, doch sie dachte an Geld, an die Mutter, an deren
Tod. Als die Mutter gestorben war, hatte ihr Vater, Pëtr
Leontjič, Lehrer für Kalligrafie und Zeichnen am Gymnasium,
zu trinken angefangen, war die Not angebrochen; die
Knaben hatten keine Stiefel, keine Galoschen, den Vater
schleppte man vor den Friedensrichter, der Gerichtsvollzieher
kam und beschlagnahmte die Möbel … Welch eine
Schande! Anja musste sich um den betrunkenen Vater
kümmern, den Brüdern die Strümpfe stopfen, auf den
Markt gehn und wenn man ihre Schönheit, Jugend und feinen
Manieren pries, war ihr, als sähe alle Welt ihr billiges
Hütchen und die mit Tinte übermalten Löcher in ihren
Stiefeletten. Und nachts – Tränen und der unabweisliche,
beunruhigende Gedanke, man werde bald, sehr bald den
Vater wegen seiner Schwäche aus dem Gymnasium entlassen,
und er würde das nicht ertragen und sterben, wie die
Mutter. Doch da wurden einige bekannte Damen geschäftig
und begannen, für Anja nach einem guten Menschen zu
suchen. Und hatten bald diesen Modest Alekseič gefunden,
nicht mehr jung und nicht hübsch, aber jemand mit Geld.
Er hatte einhunderttausend auf der Bank und besaß ein
Gut auf dem Lande, das er verpachtete. Er war ein Mann
von Grundsätzen und bei Seiner Durchlaucht gut angeschrieben;
es sei für ihn ein Leichtes, sagte man Anja, sich
von Seiner Durchlaucht einen Brief an den Direktor des
Gymnasiums und sogar an den Kurator zu holen, damit
man Pëtr Leontjič nicht entließe …
Während sie sich dieser Einzelheiten erinnerte, war
plötzlich Musik zu hören, die, mit Stimmengewirr vermischt,
zum Fenster hereindrang. Der Zug hielt an einer
Zwischenstation. Hinter dem Bahnsteig spielte man
schwungvoll auf der Harmonika und einer winselnden billigen
Geige; und jenseits der hohen Birken und Pappeln,
jenseits der vom Mondlicht beschienenen Sommerhäuser
ertönten die Klänge einer Militärkapelle: in den Sommerhäusern
gab man wohl einen Abend mit Tanz. Auf dem
Bahnsteig spazierten Sommergäste und Städter, die bei gutem
Wetter hierherkamen, um saubere Luft zu atmen. Hier
war auch Artynov, der Besitzer der ganzen Sommerhaussiedlung,
ein reicher, groß gewachsener fülliger Brünetter,
mit dem Gesicht eines Armeniers, mit vorquellenden Augen
und in seltsamem Aufzug. Er hatte ein Hemd an, das
über der Brust aufgeknöpft war, und hohe Stiefel mit Sporen,
und von den Schultern fiel ein schwarzer Umhang, der
über den Boden schleifte wie eine Schleppe. Ihm folgten,
die spitzen Schnauzen gesenkt, zwei Borzojs.
In Anjas Augen glitzerten noch die Tränen, aber schon
dachte sie nicht mehr an die Mutter, an Geld, auch nicht an
ihre Hochzeit, sondern drückte bekannten Gymnasiasten
und Offizieren die Hand, lachte fröhlich und sagte schnell:
– Guten Abend! Wie geht es Ihnen?
Sie ging auf den Bahnsteig hinaus, ins Mondlicht, und
stellte sich so in Pose, dass man sie in ihrem großartigen
neuen Kleid und ihrem Hütchen in ganzer Größe sehen
konnte.
– Wieso halten wir hier? – fragte sie.
– Hier ist eine Ausweichstelle, – antwortete man ihr, – sie
warten auf den Postzug.
Da sie bemerkt hatte, dass Artynov sie anschaute, kniff
sie kokett die Augen zusammen und begann, laut französisch
zu sprechen, und, weil ihre Stimme so schön klang,
weil Musik zu hören war und der Mond sich im Teich spiegelte,
und weil Artynov, dieser berühmte Don Juan und
Verführer, sie so begehrlich und neugierig anschaute, und
weil allen fröhlich zumute war, verspürte sie plötzlich
Freude, und als der Zug anfuhr und die bekannten Offi-
ziere ihr zum Abschied salutierten, sang sie bereits die
Polka mit, deren Klänge ihr die Militärkapelle von irgendwo
hinter den Bäumen hinterdreinschickte; in ihr Abteil kehrte
sie mit einem Gefühl zurück, als habe man sie auf dem Zwischenhalt
überzeugt, dass sie ganz bestimmt glücklich werden
würde, allem zum Trotz.

Das junge Paar blieb zwei Tage im Kloster, dann kehrte
man in die Stadt zurück. Sie lebten in einer Dienstwohnung.
Wenn Modest Alekseič zum Dienst ging, spielte Anja
auf dem Flügel, oder weinte vor Langeweile, oder legte sich
auf die Chaiselongue und las Romane, und blätterte im
Modejournal. Beim Essen verzehrte Modest Alekseič sehr
viel und sprach über Politik, über Ernennungen, Versetzungen
und Auszeichnungen, darüber, dass man arbeiten
müsse, dass das Familienleben kein Vergnügen sei, sondern
eine Verpflichtung, dass die Kopeke den Rubel ehre, und
dass er Religion und Moral über alles auf der Welt stelle.
Und während er das Messer in der Faust hielt wie ein
Schwert, sagte er:
– Jeder Mensch hat seine Verpflichtungen!
Und Anja hörte ihm zu, fürchtete sich und konnte nicht
essen, weshalb sie gewöhnlich hungrig vom Tisch aufstand.
Nach dem Essen ruhte ihr Mann und schnarchte laut, während
sie zu den Ihren ging. Der Vater und die Knaben
schauten sie irgendwie besonders an, als hätten sie sie kurz
vor ihrem Kommen dafür verurteilt, des Geldes wegen
einen ungeliebten, stumpfsinnigen Menschen geheiratet zu
haben; ihr raschelndes Kleid, ihre Armreifen und überhaupt
ihr damenhaftes Äußeres genierten, kränkten sie; in
ihrem Beisein waren sie ein wenig verlegen und wussten
nicht, worüber sie mit ihr sprechen sollten; dennoch liebten
sie sie wie früher und hatten sich noch nicht daran gewöhnt,
ohne sie zu essen. Sie setzte sich und aß mit ihnen Šči, Kaša
und Kartoška, in Hammeltalg gebraten, der nach Kerze
roch. Pëtr Leontjič schenkte sich mit zitternder Hand aus
der Karaffe ein und trank schnell, gierig, mit Abscheu, dann
trank er ein zweites Gläschen, dann ein drittes … Petja und
Andrjuša, magere, blasse Knaben mit großen Augen, nahmen
ihm die Karaffe weg und sagten verlegen:
– Schon gut, Papočka … nicht doch, Papočka …
Auch Anja war besorgt und flehte ihn an, nicht mehr zu
trinken, dann brauste er plötzlich auf und schlug mit der
Faust auf den Tisch.
– Ich erlaube niemandem, mich zu beaufsichtigen! –
schrie er. – Rotzlöffel! Freches Gör! Ich werf euch alle
raus!
Doch in seiner Stimme klang Schwäche, Güte, und niemand
fürchtete ihn. Nach dem Essen putzte er sich gewöhnlich
heraus; blass, mit beim Rasieren zerschnittenen
Kinn, den hageren Hals gereckt, stand er eine geschlagene
halbe Stunde vor dem Spiegel und machte sich fein, bald
sich kämmend, bald seinen schwarzen Schnurrbart zwirbelnd,
besprengte sich mit Parfum, band die Krawatte zur
Schleife, dann zog er Handschuhe an, setzte den Zylinder
auf und ging zu Privatschülern. Und wenn ein Feiertag war,
blieb er zu Hause und malte mit Ölfarben oder spielte auf
dem Physharmonium, das zischte und brüllte; er gab sich
Mühe, ihm wohlgeordnete, harmonische Klänge zu entlocken,
und sang dazu oder ärgerte sich über die Knaben:
– Lumpenhunde! Schufte! Ihr habt das Instrument verhunzt!
Abends spielte Anjas Mann Karten mit seinen Dienstkollegen,
die mit ihm unter einem Dach lebten, in Dienstwohnungen
wie er. Während des Kartenspiels kamen auch
die Beamtenfrauen zusammen, hässlich, geschmacklos
heraus geputzt, grob wie Köchinnen, und in der Wohnung
schwirrte es von Klatschgeschichten, ebenso hässlich und
geschmacklos wie die Beamtenfrauen. Manchmal ging
Modest Alekseič mit Anja ins Theater. In den Pausen ließ er
sie keinen einzigen Schritt allein machen, sondern ging mit
ihr untergehakt durch die Korridore, durchs Foyer. Verbeugte
er sich vor jemandem, flüsterte er Anja umgehend
zu: »Staatsrat … wird von Seiner Durchlaucht empfangen«
oder: »sehr bemittelt … besitzt ein eigenes Haus …« Wenn
sie am Büffet vorbeikamen, hätte Anja gern etwas Süßes gehabt;
sie liebte Schokolade und Apfeltorte, aber Geld hatte
sie keins, und ihren Mann zu bitten genierte sie sich. Er
griff nach einer Birne, drückte sie in den Fingern und fragte
unschlüssig:
– Kostet wie viel?
– Fünfundzwanzig Kopeken.
– Aber das ist doch! – sagte er und legte die Birne an
ihren Platz zurück; da es aber peinlich war, vom Buffet
wegzugehen, ohne etwas gekauft zu haben, verlangte er
Selterswasser und trank die ganze Flasche allein aus, Tränen
traten ihm in die Augen, und Anja hasste ihn in solchen
Momenten.
Oder er lief plötzlich rot an und sagte schnell zu ihr:
– Verbeug dich vor dieser alten Dame!
– Aber ich bin mit ihr nicht bekannt.
– Egal. Sie ist die Frau Gemahlin des Direktors des Kameralhofs!
Verbeuge dich, wenn ich es dir sage! – , knurrte
er insistierend. – Davon fällt dir der Kopf schon nicht ab.
Anja verbeugte sich, und der Kopf fiel ihr tatsächlich
nicht ab, aber es war qualvoll. Sie tat alles, was ihr Mann
verlangte, und ärgerte sich über sich selbst, dass er sie betrogen
hatte wie die letzte dumme Göre. Sie hatte ihn nur
des Geldes wegen geheiratet, doch hat sie jetzt weniger
Geld als vor der Heirat. Früher hatte ihr der Vater ab und
einen Zwanziger zugesteckt, doch jetzt hatte sie keinen
Groschen. Es heimlich nehmen oder ihn darum bitten
konnte sie nicht, sie fürchtete ihren Mann, zitterte vor ihm.
Ihr schien, die Angst vor diesem Menschen trage sie schon
lange in der Seele. Früher in ihrer Kindheit, war ihr als eindrucksvollste,
schrecklichste Macht, die sich wie eine Gewitterwolke
oder eine Lokomotive auf sie zubewegte, bereit,
sie zu zermalmen, immer der Direktor des Gymnasiums
erschienen; eine andere solche Macht, über die in der Familie
immer gesprochen wurde und die man aus irgendeinem
Grunde fürchtete, war Seine Durchlaucht; und es gab noch
ein Dutzend Mächte kleinerer Art, unter ihnen die Lehrer
am Gymnasium, die strengen, unerbittlichen mit ihren abrasierten
Schnurrbärten, und jetzt schließlich Modest
Alekseič, der Mann von Grundsätzen, der im Gesicht dem
Direktor sogar ähnlich sah. Und in Anjas Vorstellung verschmolzen
alle diese Mächte in eins und bewegten sich in
Gestalt eines schrecklichen riesigen Eisbären auf die Schwachen
und Schuldbewussten zu, auf solche wie ihren Vater,
und sie fürchtete sich, etwas dagegen zu sagen, lächelte gezwungen
und heuchelte Vergnügen, wenn man sie grob
liebkoste und besudelte in Umarmungen, die sie in Schrecken
versetzten.
Nur einmal hatte Pëtr Leontjič sich erkühnt, darum zu
bitten, ihm fünfzig Rubel zu leihen, um irgendwie eine sehr
unangenehme Schuld zu begleichen, aber was hatte er deshalb
leiden müssen!
– Gut, ich werde sie Ihnen geben, – sagte Modest Alekseič
nach kurzer Überlegung, – aber ich warne Sie, ich werde
Ihnen nicht länger helfen, wenn Sie nicht aufhören zu
trinken. Für einen Menschen, der im Staatsdienst steht, ist
eine solche Schwäche eine Schande. Ich kann nicht umhin,
Sie an die allgemein bekannte Tatsache zu erinnern, dass
diese Leidenschaft viele fähige Menschen ins Verderben
gestürzt hat, während sie bei Enthaltsamkeit mit der Zeit
vielleicht zu hochgestellten Persönlichkeiten aufgestiegen
wären.
Und lang zogen sich die Satzperioden: »nach Maßgabe
dessen« … »ausgehend von dem Gesichtspunkt« … »angesichts
des soeben Gesagten …« doch der arme Pëtr Leontjič
litt unter der Erniedrigung und verspürte das heftige Verlangen
zu trinken.
Und die Knaben, die Anja besuchten, gewöhnlich in zerrissenen
Stiefeln und in abgewetzten Hosen, mussten sich
ebenfalls Belehrungen anhören.
– Jeder Mensch hat seine Verpflichtungen! – pflegte
Modest Alekseič zu ihnen zu sagen.
Aber Geld gab er nie. Dafür schenkte er Anja Ringe,
Armreifen und Broschen, wobei er sagte, es sei gut, diese
Sachen zu haben für den schwarzen Tag. Und oft schloss er
ihre Kommode auf und führte Revision durch: ob alle Sachen
noch da seien.

 

Späte Erzählungen in zwei Bänden 1893 – 1903 von Anton Cechov sind am 28.10.2015 erscheinen. Aus dem Russischen von Peter Urban. Der erste Band Rothschilds Geige versammelt Erzählungen aus den Jahren 1893 bis 1896, jene aus den Jahren 1897 bis 1903 sind im zweiten Band Die Dame mit dem Hündchen vereint.

Späte Erzählungen in zwei Bänden 1893–1903
Im Warenkorb
Download Bilddatei
Kaufen

Kaufen bei

  • amazon
  • bider und tanner
  • buchhaus.ch
  • Diogenes
  • ebook.de
  • facultas.at
  • genialokal.de
  • HEYN.at
  • hugendubel.de
  • kunfermann.ch
  • lchoice (nur DE/AT)
  • orellfuessli.ch
  • osiander.de
  • Schreiber Kirchgasse
  • thalia.at
  • thalia.de
  • tyrolia.at