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Von Meistern und Mördern. Bielefeld & Hartlieb über ihren neusten Fall »Im großen Stil«.

Sie haben es wieder getan: Das Autorenduo Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb lässt zum vierten Mal in Berlin und Wien ermitteln. Diesmal führt die Spur in den internationalen Kunstmarkt. Dort wird nicht nur gehandelt, sondern auch gemordet – und zwar im großen Stil.

Foto: Bastian Schweitzer / © Diogenes Verlag

Wir trafen die Wiener Buchhändlerin und den Berliner Literaturkritiker zum Interview und befragten sie zu ihrem neuen Roman, in dem Kommissar Thomas Bernhardt und Inspektor Anna Habel sich einen Weg durch das hochrentable und undurchsichtige Geschäft mit alten Meistern und Kunst aus dem 20. Jahrhundert bahnen. 

Wer ist Anna Habel?

PETRA HARTLIEB: Anna Habel ist eine Frau, die es sich selbst nicht ganz leicht macht. Alleinerziehend, irgendwie immer ein wenig auf der Suche nach Mr. Right, ehrgeizig, aber manchmal auch frustriert. Man weiß nicht genau, wie sie zu ihrem Job bei der Polizei gekommen ist, und das weiß sie manchmal selbst auch nicht so genau. Sie ist ein wenig über vierzig, wäre gerne jünger, zumindest nicht älter, hätte gerne zehn Kilo weniger, bringt aber nicht die nötige Disziplin auf. Manchmal ist sie aufbrausend und nicht immer gerecht. Ist immer wieder ein wenig zickig und hasst sich selbst dafür.

Und wer ist Thomas Bernhardt?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Wenn ich das so ganz genau wüsste … Aber ich versuch’s mal: Um die fünfzig, in jungen Jahren ziemlich links, Melancholiker, kann aber auch sehr bestimmt auftreten, manchmal hat er auch eine ziemliche Wut im Bauch. Ob das echt ist oder nur gespielt: Schwer zu sagen. Jedenfalls kann er in den wirklich wichtigen Momenten auch sehr empfindsam sein, z.B. gegenüber Anna Habel, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so scheint. Sein starkes Gerechtigkeitsgefühl macht ihn zu einem hartnäckigen Ermittler, der sich in die Fälle verbeißt und nie aufgibt. Letztlich geht es ihm darum, die durch einen Mord aus den Fugen geratene Welt wieder ein bisschen ins Gleichgewicht zu bringen.

Wie sein Namensvetter, von dem er angeblich noch nie gehört hat, kann er sich zu längeren Litaneien und Weltbeschimpfungen hinreißen lassen. Aber so richtig viel haben die beiden, glaube ich, nicht miteinander zu tun.

Es gibt noch zwei Protagonisten, nämlich Wien und Berlin. Was liegt euch bei den Stadtbeschreibungen besonders am Herzen?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Ich bin mit 19 Jahren Mitte der Sechziger aus der tiefsten (oberhessischen) Provinz nach Berlin zum Studium gekommen, in eine unglaublich dunkle, zerstörte Stadt mit Ruinengrundstücken selbst auf dem Kurfürstendamm; mit überwucherten Brachen wie dem Gleisdreieck, einem weitgehend stillgelegten Eisenbahnareal mitten in der Stadt. Es gab betongraue Hochbunker, die Häuser waren von Granateinschlägen gesprenkelt, die S-Bahnhöfe wurden von DDR-Transportpolizisten bewacht, die Mauer … Doch nicht nur die Stadt wirkte, als sei sie in einem nicht enden wollenden Nachkrieg gefangen, auch die Menschen waren, so empfand ich es, gezeichnet.

Und gleichzeitig verfügten diese Nachkriegsberliner über einen ungemein trockenen Witz, waren lebensmutig. Das hat mich stark beeindruckt.

Für mich ist Berlin bis heute (da die schwarz-weiße Stadt sich längst in eine bunte verwandelt hat) ein magischer Ort, den ich mit seinen Menschen wie z.B. Frau Pulczinsky, der alten Trümmerfrau in Auf der Strecke, oder Herrn Otter, dem smarten Erlebnisgastronomen des neuen Berlins in Bis zur Neige, beschreiben will.

PETRA HARTLIEB: Auch ich bin mit 18 aus der Provinz nach Wien gezogen und sehe die Stadt immer noch ein wenig mit dem Blick von außen. Auch nach über zwanzig Jahren bin ich manchmal immer noch überwältigt vom imperialen Gehabe der Stadt, von ihrer Größe, von diesem ganzen Prunk. Es gibt nach wie vor Orte in Wien, die mich verzaubern, auch wenn sie längst meine Lebenswelt geworden sind, wie zum Beispiel der Judenplatz, der Heldenplatz, diverse kleine Kaffeehäuser, aber durchaus auch die Umgebung Wiens, wo du in zwanzig Minuten im dichtesten Wald stehst und wandern kannst, ohne eine Menschenseele zu treffen.

Von meinem Wohnort (an dem ganz zufällig auch Anna Habel wohnt) bin ich in 15 Minuten in der Innenstadt, z. B. vor dem Palais Ephrussi, aber genauso schnell auch im Sieveringer Steinbruch, der im neuen Krimi Im großen Stil eine Rolle spielt, oder auch schwimmend in der Neuen Donau, die im zweiten Fall der beiden verewigt ist.

Gibt es Lieblingsorte von euch  (Cafés, Parks o. ä.) in Berlin und Wien, die in den Krimis eine Rolle spielen, und wenn ja, welche? Oder gibt es Gegenden in euren Städten, die ihr erst über die Arbeit an einem eurer Bücher entdeckt habt?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Da ich mich seit einem knappen halben Jahrhundert durch Berlin bewege, kenne ich vieles und entdecke doch ständig Neues, zumal im Osten, wo ich bis 1990 kaum war. Was ich von Anfang an kenne, ist die Gegend ums Schlesische Tor, in den Sechzigern tiefstes, ärmstes Berlin an der Mauer, heute ein Hipster-, Party- und Touri-Viertel. Ich mag die Gegend um den Lietzensee und den Stuttgarter Platz in Charlottenburg, wo ich wohne und die in Bis zur Neige und Nach dem Applaus vorkommen.

Der neue Krimi Im großen Stil spielt u.a. am Majakowski-Ring in Pankow, einst Wohngebiet hoher DDR-Funktionäre, und in der Gegend um die Wollankstraße im Wedding.

Foto: via pankow-erleben.de

Wie schnell sich alles ändert, zeigt meine Beschreibung der Boddinstraße in Neukölln, wo Thomas Bernhardts Kollegin Cornelia Karsunke mit ihren beiden kleinen Töchtern lebt. Im ersten Krimi war das noch das proletarische Berlin, zwei Krimis später gibt’s dort mit die höchste Apple-MacBook-Dichte in Berlin, und an jeder Ecke hört man Englisch, Spanisch etc.
Dieses bewegliche, sich immerfort neu erfindende Berlin, das finde ich einfach klasse.

PETRA HARTLIEB: Wie gesagt, es ist diese Vielseitigkeit der Stadt, die ich gerne mag. Und das Schöne ist, dass man durch das Schreiben die Stadt wieder und wieder neu entdeckt. Entweder man schaut Orte, die man schon lange kennt, einfach genauer an, um sie beschreiben zu können, oder aber man fährt bewusst zu neuen Orten, neuen Stadtteilen, um sie in die Geschichte einzubauen. Die Gegend rund um Wien, also den Wienerwald, habe ich erst in den letzten eineinhalb Jahren entdeckt, weil ich als Hundebesitzerin nun immer auf der Suche nach neuen Spazierwegen bin. Ich habe bereits in sehr vielen Stadtteilen gewohnt und finde es auch sehr spannend, wie die sich verändert haben.

Im vierten Fall für Berlin und Wien, Im großen Stil, geht es um die einträglichen und undurchsichtigen Geschäfte des Kunstmarkts. Was hat euch an diesem Thema gereizt?

PETRA HARTLIEB: Wie auch Anna Habel kenne ich mich mit Kunst nicht wirklich aus. Meine Kriterien bei Kunstwerken beschränken sich so ungefähr auf »gefällt mir«, »gefällt mir nicht«. Ich liebe es aber, in Ausstellungen zu gehen und Bilder anzusehen, ich bin oft im Kunsthistorischen Museum, das ja aufgrund seiner Räumlichkeiten ein eindrucksvolles Ding ist. Und ich habe ein paar Freunde, die »im größeren Stil« Bilder sammeln, das fand ich immer schon spannend.

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Im Krimi geht’s ja um Lug und Trug und um doppelte Böden. Und im Kunstbetrieb und Kunsthandel wird ganz besonders wild getrickst und gefälscht, nicht erst seit heute. Und das wollten wir mal in möglichst vielen Facetten zeigen.

Habt ihr euch in Im großen Stil auch vom Fall rund um die Sammlung Gurlitt inspirieren lassen?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Nein! War gar nicht möglich. Als wir geschrieben haben, war der Fall Gurlitt noch nicht ans Licht der Welt gekommen. Die Parallelen sind allerdings erstaunlich. Sagen wir mal so: Im Schreiben kann man manchmal die Realität vorwegnehmen, Literatur ist magisch.

PETRA HARTLIEB: Wir hatten schon fast die Hälfte des Buches, als wir plötzlich beide in den Nachrichten die Geschichte des Münchner Bilderhauses gesehen haben. Da habe ich Claus angerufen und gesagt: »Unser Krimi ist in den Nachrichten.« Wir haben dann auch kurz überlegt, das Thema zu wechseln, damit niemand sagen kann, wir hätten die Geschichte abgekupfert. Aber wir waren zu weit – und warum auch? Wir waren zuerst.

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Wie darf man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Einfach kompliziert. Einfach, weil wir in der Regel den gleichen Ton finden, weil wir oft Spaß haben. Kompliziert, weil wir berufstätig sind und »nebenbei« schreiben, d.h., es gibt Verzögerungen, da ist es manchmal schwierig, im Fluss und Rhythmus zu bleiben.

PETRA HARTLIEB: Inzwischen ist es schon ein wenig Routine: Einer schreibt, der andere hat Pause, dann umgekehrt. Das Problem ist natürlich der unterschiedliche Rhythmus, ich arbeite ja nach wie vor sehr viel, das heißt, ich stehe viele Stunden im Laden, da geht’s ab und zu nicht so schnell voran, wie man es sich vorgenommen hat. Das Schöne ist, dass wir uns meist mit den Geschichten sehr einig sind.

Wie ist das, Buchhändlerin und Autorin bzw. Literaturkritiker und Autor in einer Person zu sein? Befruchten sich diese Rollen gegenseitig? Oder verursacht das auch Unbehagen?

CLAUS-ULRICH BIELEFELD: Der Literaturkritiker, der ständig bewertet und Noten verteilt, hat naturgemäß eine gewisse Hemmung, sich plötzlich selbst bewerten zu lassen. Aber einmal über die Hürde gesprungen, kann ich nur sagen: Auf geht’s!

PETRA HARTLIEB: Ich habe da als Buchhändlerin nicht ganz so große Hemmungen, denn ich verkaufe ja auch viele Bücher, die eindeutig schlechter sind als unsere … (lacht) Ich habe da keine Berührungsängste, wenn die Kunden ein Buch verlangen, dann werde ich das nicht unterbinden. Für mich ist es leichter als für Claus, weil ich ja im Laden ein unmittelbares Feedback bekomme. Viele Leute kommen rein und erzählen mir, wie ihnen unser Buch gefallen hat. Das finde ich sehr schön.

 

Im großen Stil. Ein Fall für Berlin und Wien von Bielefeld & Hartlieb ist am 29.4.2015 erschienen. Auch als E-Book. Es ist der vierte Fall der grenzüberschreitenden Serie.