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»Die größte Herausforderung für mich war es, meine Mutter nicht bloßzustellen und ihren Charakter nicht zu beschädigen.«
Ein Interview mit Michel Bergmann

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Michel Bergmann erzählt in seinem neuen Buch Mameleben oder das gestohlene Glück über das Leben seiner Mutter. Großartig und nervtötend, aufopfernd, aber auch übergriffig – er liebt seine Mutter und hält sie manchmal nicht aus. Das erzählende Sachbuch ist am 22.2.2023 erschienen und erzählt eindrücklich die Geschichte einer eigenwilligen und starken Frau, die Vertreibung und Verlust erlebte.

Im Diogenes Interview erfahren wir mehr über das bisher persönlichste Buch von Michel Bergmann und warum es gerade jetzt Zeit war, es anzugehen. Zudem verrät er uns, welche Gemeinsamkeiten die Psychotherapie und das Schreiben für ihn haben.

Foto: © Bogenberger Autorenfotos

In Mameleben oder das gestohlene Glück erzählen Sie die Geschichte dieser eigenwilligen, starken Frau, die Ihre Mutter war. Wieso ist nun die Zeit reif, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? 
Michel Bergmann: Nach dem dramatischen Tod meiner Mutter im Dezember 2001 war ich mental nicht in der Lage, darüber zu sprechen, geschweige denn zu schreiben. Ich habe mich mit meinen anderen teils autobiografischen Romanen im Lauf der Jahre diesem Thema angenähert, um schließlich während der Corona-Isolation mit Mameleben zu beginnen. 

Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen? 
Michel Bergmann: Eine Recherche im eigentlich Sinn gab es nicht. Ich hatte einige Briefe und Dokumente sowie Fotoalben meiner Familie. Viele der darin enthaltenen Bilder haben Erinnerungen an bemerkenswerte Episoden oder Familienlegenden freigesetzt. Dazu kamen Gespräche mit meiner Frau Anke Apelt, die ein außergewöhnliches, fotografisches Gedächtnis hat. »Alles in diesem Buch ist wahr – und was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem.« Dies stellen Sie dem Buch voran. Wie verhalten sich Wahrheit und Fiktion zueinander? So wie ich mich im Lauf der Jahre verändert habe, haben sich auch meine Erinnerungen möglicherweise verändert. Das wollte ich damit andeuten. Der Diogenes Verlag nennt dieses Buch ein erzählendes Sachbuch, was ich für eine interessante Kategorie halte. Man könnte es ebenso eine fiktionale Biografie nennen.  

Was war die größte Herausforderung bei der Arbeit am Buch? 
Michel Bergmann: Die größte Herausforderung für mich war es, meine Mutter nicht bloßzustellen und ihren Charakter nicht zu beschädigen. Trotz aller Kontroversen und Konflikte wollte ich das Bild einer Frau zeichnen, die trotz der Tatsache, dass man ihr die Zukunft geraubt hat, und trotz aller Verletzungen in ihrem Leben ein guter und liebenswerter Mensch war. 

Gegen Ende geben Sie Raum für einen Monolog Ihrer Mutter. Was bewog Sie dazu? 
Michel Bergmann: Ich wollte meine Mutter zu Wort kommen lassen. Eine Art Verteidigungsrede. Obwohl es in diesem Buch um meine Mutter geht, habe ich vor allem über meinen Blick auf sie, über mich und meine Befindlichkeit geschrieben. Meine Mutter war eine dominante, pessimistische und strikte Person, aber ich habe stets gespürt, dass sie gern anders gewesen wäre. Genau so, wie ich sie glücklicherweise auch in seltenen Momenten erleben durfte: jung, aufgeschlossen, fröhlich, humorvoll und unbeschwert. 

Sie sprechen in Ihrem erzählenden Sachbuch auch den Unwillen an, über sich selbst nachzudenken. Wie war es nun, dieses Buch zu schreiben, das viel Reflexion, auch über das eigene Leben, abverlangt? 
Michel Bergmann: Dieses Buch war eine Art von Psychotherapie für mich. Ich habe beim Schreiben immer wieder in die Vergangenheit eintauchen müssen, was dazu führte, mich und meine eigenen Handlungen zu überprüfen und zu bewerten. Das war auch ein schmerzhafter Weg. 

Was bedeutet Ihnen dieses Buch? 
Michel Bergmann: Dieses Buch ist mir ein Herzensanliegen und von all meinen Büchern das Wichtigste. 

Das Interview führte Anne Hedwig Kaiser, Januar 2023 © by Diogenes Verlag AG Zürich 

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Mameleben

oder das gestohlene Glück

Michel Bergmann wurde 1945 in Riehen bei Basel geboren als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge. Seine frühe Kindheit verbrachte er in Paris, seine Jugend in Frankfurt a.M. Nach dem Studium folgte eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau, anschließend arbeitete er als Journalist, später als Regisseur und Produzent, seit 1990 auch als Drehbuchautor (u.a. Otto – Der Katastrofenfilm, Es war einmal in Deutschland ...). 2010 erschienen sein erster Roman Die Teilacher und seither noch sechs weitere Bände. Michel Bergmann lebt in und bei Berlin.

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