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»Ein Schriftsteller kann nie nur aus der eigenen Phantasie schöpfen.« Ein Interview mit Marco Balzano

Wenn ich wiederkomme heißt der neue gesellschaftspolitische Roman von Marco Balzano. Darin erzählt er eine Geschichte über die wahren Heldinnen unserer Zeit und den Umgang der Generationen miteinander. Im Interview haben wir von ihm erfahren, was über alte Menschen denkt, dass Pflegeberufe häufig Erfüllung bedeuten und dass häufig Frauen aus Wirtschaftsgründen emigrieren.

Foto: Geri Krischker / © Diogenes Verlag

Wenn ich wiederkomme ist ein Roman über eine Frau, die in Rumänien ihre eigene Familie zurücklässt, um wie viele andere in Italien als Altenpflegerin und Kindermädchen für fremde Familien zu arbeiten. Sie will so ihren eigenen Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Was hat Sie dazu motiviert, diesen Roman zu schreiben?

Marco Balzano: Seit drei Jahrzehnten stellen Frauen rund siebzig Prozent der Wirtschaftsmigranten auf der Welt, und fast alle dieser Frauen sind auch Mütter. Die Politik aber spricht von Emigration noch immer so, als beträfe sie wie früher überwiegend Männer. Aber dem ist nicht so. Überall auf der Welt verlassen Frauen ihre eigenen Familien und ziehen in den Westen – den privilegiertesten, aber auch am meisten überalterten Teil der Welt –, um dort unsere engsten Angehörigen zu unterstützen. Die Geschichte einer solchen Protagonistin unserer Zeit wollte ich erzählen.

Warum sind es gerade so oft die Frauen, die ihre Heimat verlassen?

Marco Balzano: Weil die westliche Welt großen Bedarf an Menschen hat, die sich »kümmern«: um unsere Alten, um unsere Kinder, um unsere Häuser. Und dieses »Kümmern« assoziieren wir – vielleicht aus uralten Erfahrungen heraus, die jedem Menschen eingeschrieben sind – unwillkürlich mit einer Frau. Ich habe eine Geschichte von Liebe und Mut erzählt, die Geschichte einer Frau, die versucht, auch aus der Ferne die Liebe zu ihren Kindern weiterzuleben und die überhaupt erst in die Ferne geht, um ihnen die gleichen Möglichkeiten eröffnen zu können wie ich den meinen. So ist es auch eine Geschichte der Emanzipation, einer Emanzipation allerdings, die mit sehr viel Leid verbunden ist.

Wenn ich wiederkomme
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Wenn ich wiederkomme

Wie haben Sie für den Roman recherchiert? Haben Sie auch persönlich mit Pflegekräften aus Osteuropa gesprochen?

Marco Balzano: Die Geschichte ist wie in jedem meiner Romane erfunden. Die Dynamiken jedoch, den Kontext und die Situationen habe ich lange studiert. Selbstverständlich habe ich mich
mit vielen Pflegekräften unterhalten und bin auch nach Osteuropa gefahren, um die zurückgelassenen Kinder dieser Frauen zu treffen und mir ihre Sicht der Dinge anzuhören. Es war eine unheimlich wichtige und sehr schöne Reise, ich habe zauberhafte Landschaften und Orte besucht, die ich hinterher im Roman zu beschreiben versucht habe. Ein Schriftsteller kann nie nur aus der eigenen Phantasie schöpfen, er muss den Mut aufbringen, mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen und den Geschichten der anderen zu lauschen, ehe er zu schreiben anfängt.

Wie schon in ihrem letzten Roman Ich bleibe hier, geht es auch in diesem Buch um Migration, um die Rolle von Heimat und Sprache und darum, dass Menschen etwas zurücklassen müssen, das sie lieben. Was fasziniert Sie so an dieser Thematik?

Marco Balzano: Ein Schriftsteller, glaube ich, interessiert sich weniger für Fakten als für deren metaphorischen Gehalt. Die Migration ist eine Metapher für unseren legitimen Wunsch nach einem besseren Leben. Das Zuhause und die Familie sind die Orte, die unseren Charakter und unsere Fähigkeit zu lieben prägen. Die Sprache ist das erste Instrument der Freiheit und des freien Denkens. Diese Themen finden sich sowohl in Ich bleibe hier wie in Wenn ich wiederkomme, doch es gab sie bereits in Damals, am Meer: Sie bilden meine narrative Welt, und ich mag es, diese Welt durch die Erlebnisse und Gefühle eines Protagonisten oder einer Familie zu erzählen.

Es gibt im Buch immer wieder Momente, die das Schöne und Menschliche am Beruf der Pflegekräfte zeigen. War es Ihnen ein Anliegen, auch zu veranschaulichen, dass dieser Beruf Erfüllung bringen kann und sinnstiftend ist, wenn nur die Voraussetzungen bessere wären?

Marco Balzano: Ohne die Zuwendung der Menschen, die sich um uns kümmern, wenn wir noch klein oder alt und krank alt sind, könnten wir nicht überleben; zumindest wäre unser Leben sehr viel schlechter. Diese Zuwendung lässt Bindungen entstehen: Pflege ist eine sehr berührende und zermürbende Tätigkeit, die Großmut und Geduld erfordert. Mit meiner Geschichte wollte ich uns Westlern in Erinnerung rufen, dass diese Frauen in vielen Fällen ihre eigenen Kinder verlassen haben, damit sie sich um unsere kümmern können. Es ist ein Massenphänomen, das sich so oder so überall auf der Welt ereignet: Daniela ist Rumänin und kommt nach Mailand, doch sie könnte auch eine Polin sein, die nach Deutschland, eine Peruanerin, die nach New York, eine Inderin, die
nach Dubai, eine Ägypterin, die nach Israel geht – die Orte sind austauschbar. Davon zu erzählen, war mir eine Herzensangelegenheit.

Photo by Danie Franco on Unsplash

In Italien sind es vor allem Rumäninnen, die als Pflegekräfte ins Land kommen. In Deutschland kommen diese Frauen häufig aus Polen, aber die Bedingungen sind ähnlich. Was muss Ihrer Meinung nach politisch wie auch gesellschaftlich geschehen, um die Situation für die ausländischen Pflegekräfte zu verbessern?

Marco Balzano: Mich interessieren Geschichten, die etwas über unsere Gegenwart aussagen. Ein Schriftsteller sollte Zeuge seiner Zeit sein. Dabei verstehe ich mich aber weder als Politiker noch als Journalist oder Historiker. Ich interessiere mich für die Schicksale der Menschen, ihre Beziehungen und Empfindungen. Und ich mag es, wenn die Fakten des Romans sich in einem stimulierenden Kontext ereignen, durch den ich einem Stück Welt begegne, das ich noch nicht kannte oder dem ich bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Mehr Aufmerksamkeit sollte meines Erachtens unbedingt die Politik den Opfern schenken, die manche Berufe abverlangen: Meine Opfer als Lehrer, der in der Stadt arbeitet, in der er lebt, sind viel geringer als die einer Frau, die sich um einen alten Menschen, ein Kind oder einen Kranken kümmert, die in einem anderen Land leben und eine andere Sprache sprechen. Ist diese Frau dann auch noch eine Mutter, die ihre eigene Familie zu Hause zurückgelassen hat, ja dann müsste man doch auch mal an das Wohlbefinden dieser Frau denken. Kurz: Der Sozialstaat ist gefragt.

Hat die Arbeit an diesem Roman Ihre Sicht auf das Alter, auf alte Menschen, aber auch das eigene Altern verändert?

Marco Balzano: Unsere Gesellschaft hegt eine große Furcht vor dem Alter und dem Altern und will da nicht so genau hinsehen. Die Werbung zeigt nur ewige Jugend, gestählte Körper und Gesichter ohne Falten. Dabei ist es oft sehr interessant, alten Menschen zuzuhören, besonders in unserer rastlosen Welt. Die Pandemie hat sie sehr ausgegrenzt, so wie sie auch vielen Kindern und Jugendlichen große Opfer abverlangt. Dass mein Buch von Alten, Kindern und Jugendlichen handelt, hat vielleicht damit zu tun, dass ich Figuren mag, die zurückbleiben: Manchmal sind gerade ihre Geschichten es wert, erzählt zu werden.

(Das Gespräch führte Stephanie Uhlig, Juli 2021 / © by Diogenes Verlag AG Zürich)

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