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»Kunst, Sex und Macht«
Ein Interview mit Annalena McAfee

Ein literarischer Roman über eine kompromisslose Frau und Künstlerin, die ihre Passion über alles stellt und sich nimmt, was sie will. Eve bereitet in London eine große Museumsretrospektive vor. Ihre Ehe steht vor dem Aus, und während sie sich mit der enttäuschenden Tochter, Rivalitäten mit Künstlerfreundinnen und einer Affäre mit einem weitaus jüngeren Mann auseinandersetzt, wird klar: Eve lässt die schlimmsten Visionen der Männerwelt wahr werden.

Foto: © Ollie Grove

Worum geht es in Ihrem Roman?
Annalena McAfee: Um Kunst, Sex und Macht. Eine Künstlerin beansprucht das Recht, sich in ihrem Privatleben genauso schlecht zu benehmen, wie die großen männlichen Künstler es vor ihr getan haben – mit katastrophalen Folgen.

Eve ist Künstlerin mit einem Faible für Blumen und junge Männer und eine Frau, die sich nimmt, was sie will. Sie ist eitel, rachsüchtig, eine schlechte Mutter und noch schlechtere Ehefrau. Sie lässt die schlimmsten Männerphantasien wahr werden. Und doch kann man sich der Faszination, die diese Figur ausübt, nicht entziehen. So unsympathische weibliche Hauptfiguren sind in der Literatur eher ungewöhnlich. Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Roman aus der Sicht solch eines Charakters zu verfassen?
Annalena McAfee: Mit einem einfachen Geschlechtertausch in Ihrer Beschreibung – »eine Vorliebe für junge Frauen, ein Mann, der sich nimmt, was er will. Eitel, rachsüchtig, ein schlechter Vater und ein noch schlechterer Ehemann« – könnten Sie einige der berühmtesten männlichen Künstler im westlichen Kanon beschreiben. Meine untraditionelle Künstlerin, die an den Vorrang ihrer Arbeit glaubt, schien mir ein ergiebigeres Thema zur Erforschung zu sein als die gute Mutter und hingebungsvolle Ehefrau, die immer bereit ist, ihren Pinsel niederzulegen, um sich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern.

Sind Sie eine Feministin?
Annalena McAfee: Ja. Und voller Überzeugung, dass Mädchen und Jungen den gleichen Zugang zu Bildung und die gleichen Chancen auf ein autonomes, erfülltes Leben erhalten sollten. Auch alle Männer in meinem Leben sind Feministen.

Wie viel von Ihnen steckt in Eve? Oder andersherum, wie viel von Eve steckt in Ihnen?
Annalena McAfee: Nicht viel, hoffe ich! Wie ich ist sie eine ältere Frau, eine Londonerin, mit einer Leidenschaft für Kunst. Da endet die Ähnlichkeit. Ihr mangelndes Interesse an Kindern zum Beispiel scheint mir noch lebensfeindlicher zu sein als ein mangelndes Interesse an Kunst.

Wie haben Sie für den Roman recherchiert?
Annalena McAfee: Ich habe eine Menge Künstlerbiographien gelesen sowie viel über Kunstgeschichte und Kunstkritik, sah mir viele Bilder an und belegte einen Kurs in botanischer Kunst am Ruskin College in Oxford.

Ist Kunst, die das Leben nur imitiert, überhaupt Kunst? Und wie moralisch muss ein Kunstwerk sein?
Annalena McAfee: Wir können die Kunstfertigkeit eines Malers bewundern, der die Natur fotografisch akkurat abbildet, und dennoch ungerührt bleiben, während wir von chaotischen, subjektiven Interpretationen einer Landschaft heimgesucht werden – van Goghs Felder zum Beispiel –, die dem Herzen des Künstlers entrissen zu sein scheinen.
Was die Moral angeht, so bin ich geneigt, dies den Philosophen und Priestern zu überlassen. Wir sollten uns davor hüten, jeder Kunst ein »Muss« aufzuerlegen, damit wir nicht wie totalitäre Führer enden, die »dekadente« Kunst unterdrücken, die nicht ihrer engen Weltsicht entspricht. Kunst, die ihre moralische Absicht auf der Zunge trägt, ist meiner Meinung nach oft schlechte Kunst. Natürlich gibt es große Kunst mit moralischen Absichten – Picassos Guernica, das Werk von Goya, Ai Weiweis Auseinandersetzung mit der Flüchtlingskrise, Ólafur Elíassons Reflexionen über den Klimawandel. Es gibt auch großartige Kunst ohne jegliche moralische Absicht – zum Beispiel von Formexperimentatoren wie den Kubisten, von Künstlern, die die Möglichkeiten von Maßstab und Volumen erforschen, von Farbtheoretikern und den Symbolisten. Und, wie bereits erwähnt, gibt es viele große Künstler, deren Privatleben von einer fragwürdigen Moral, wenn nicht gar von offenkundiger Unmoral bestimmt war.

Und wie oft sind Sie mit der Londoner U-Bahn gefahren bei der Arbeit am Roman?
Annalena McAfee: Vielleicht drei Mal. Ich lebe jetzt auf dem Land, aber wie meine Protagonistin bin ich in London geboren, aufgewachsen und habe den größten Teil meines Lebens dort verbracht. Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich ununterbrochen mit der Tube gefahren, und ich glaube, bei meiner Obduktion würde man den Londoner U-Bahn-Plan in meinem Gehirn entdecken.

(Die Fragen stellte Stephanie Uhlig)

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